Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
Badezimmertür ab und stieg in die Wanne, von wo aus sie durch das Fenster spähen konnte. Sie blickte auf zwei Köpfe hinab, deren schwarzes Haar in der Sonne glänzte. Aaron und Shea rauchten und unterhielten sich leise im Schatten der Weinranken. Kolibris schwirrten um die Vogeltränke, Bienen summten im Garten mit den üppigen Fuchsien, Petunien, Tausendschönchen und Lavendelbüschen.
Wo steckten Robert und Oliver?
Standen sie unter dem Dach der Veranda, wo Shannon sie nicht sehen konnte? Oder waren sie bei ihrer Mutter im Haus?
Wollten Aaron und Shea unter sich sein?
Wieso empfand sie die Zusammenkunft dort unten irgendwie als bedrohlich? Ihre Brüder waren lediglich mit ihren Drinks nach draußen gegangen, um eine Zigarette zu rauchen, und trotzdem …
Es klopfte an der Badezimmertür.
Shannon fuhr erschrocken zusammen.
»Liebling, fehlt dir was?«, fragte Maureen und rüttelte an der Klinke.
»Nein.« Ihr Puls schlug schneller – um ein Haar wäre sie beim Lauschen ertappt worden. »Ich suche nur irgendwelche Schmerztabletten, Ibuprofen oder so.«
»Im Medizinschrank.«
»Schon gefunden.« Geräuschlos stieg Shannon aus der Wanne und stellte zufrieden fest, dass sie keine Fußspuren auf der glänzenden Emaille hinterlassen hatte.
»Geht es dir gut?«
»Ich habe nur Kopfschmerzen, Mutter.«
»Du solltest noch einmal zum Arzt gehen.«
»Das werde ich. In ein paar Tagen.«
Shannon betätigte die Toilettenspülung und drehte für ein paar Sekunden den Wasserhahn auf. Als sie die Tür öffnete, sah sie ihre Mutter vor der Kommode stehen. Sie warf einen Blick in den Spiegel und strich sich ein paar widerspenstige Löckchen hinter die Ohren. »Geht es dir auch wirklich gut?«, fragte sie, griff nach einer Dose Haarspray und sprühte ihre Frisur damit ein, bis sich kein Härchen mehr regen konnte.
»Ganz prima«, log Shannon, und ehe ihre Mutter sich wieder einmal über ihr ewiges Pech und den Fluch der Flannerys auslassen konnte, setzte sie hinzu: »Ich muss jetzt wirklich gehen, Mom. Es war ein langer Tag, und außerdem habe ich einen neuen Welpen zu versorgen.«
»Natürlich.« Maureen hörte nur mit halbem Ohr zu, während sie ihr Halstuch richtete. Sie wandte den Kopf nach rechts und links und prüfte ihr Aussehen im Spiegel. Als ob ihre Kinder Wert darauf legten, wie die Falten ihres Halstuchs fielen.
»Bis später«, sagte Shannon.
»Beim Begräbnis. Falls ich dich abholen soll …«
»Das dürfte nicht nötig sein, aber ich rufe dich auf jeden Fall noch an«, sagte Shannon. Sie wusste, dass es ihrer Mutter viel bedeutete, zum Trost sämtliche Kinder um sich versammelt zu haben. Sie würde da sein, bei ihr Mutter sitzen, ihr die Hand halten, ihr Gejammer ertragen und – was das Wichtigste war – bei der Trauerfeier den Anschein von echtem Familienzusammenhalt erwecken.
Am Fuß der Treppe begegnete sie Oliver.
Kreidebleich, offenbar sehr aufgewühlt, fragte er: »Ist Mutter oben?«
»Ja.«
Er schien besorgt darüber.
»Sie richtet bloß ihr Haar.«
»Ich möchte nicht, dass sie allein ist.«
Shannon trat zur Seite, um ihm Platz zu machen. »Dann geh doch hoch und sprich mit ihr.«
»Und du?«
»Ich muss nach Hause, Oliver. Ich melde mich bald.«
»Shannon, warte mal.«
Als sie sich ihm zuwandte, sah er sie eindringlich an, und etwas in seinem Blick erschreckte sie, ein gequälter Ausdruck. »Was ist denn?«
»Man sagt, Vergeben täte der Seele gut.«
»Beziehst du das auf mich?«, fragte sie. »Und wer ist ›man‹?«
»Ich wollte sagen …«
Er verstummte, als sich Schritte näherten, und im nächsten Moment kam Robert in den Eingangsflur.
»Du willst nach Hause?«, fragte er, an Shannon gewandt.
»Ich muss. Die Pflicht ruft, und die Hunde müssen versorgt werden.« Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Schläfe und roch Zigarettenrauch und zwanzig Jahre alten Whiskey. »Pass auf dich auf, und grüß die Kinder von mir.«
»Mach ich«, sagte er und umarmte sie so fest wie schon seit zehn Jahren nicht mehr.
Sie blickte zu Oliver auf, der bereits ein paar Stufen die Treppe hinaufgestiegen war. Er sah sie fest an, doch dann wandte er sich sorgenvoll und resigniert ab und ging weiter.
Sein Benehmen machte Shannon Sorgen, aber sie konnte nicht viel tun. »Oliver«, rief sie ihm nach und warf ihm eine Kusshand zu. »Bis später.«
»Ja, bis dann«, sagte er ein wenig zögerlich.
»Bedrückt dich etwas?«, fragte sie.
»Alles bedrückt mich, Shannon. Wusstest du das
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