Decker & Lazarus 05 - Du sollst nicht luegen
sollte.
Lilah befühlte seine Hand. »Ich kann Ihren Widerstand spüren, aber ich spüre auch Ihre Schwingungen. Unsere Verbindung schafft ein außergewöhnlich starkes Feld. Sie werden mir schon noch vertrauen, Detective. Ich verfüge wirklich über diese Kräfte.«
Jemand räusperte sich. Decker drehte sich um. Block und Musterbücher in der Hand stand Leo, der Polizeizeichner, in der Tür. Sein Gesicht war rot wie ein gekochter Hummer.
Decker entriß Lilah seine Hand und stand auf. »Würden Sie mich bitte einen Augenblick entschuldigen, Lilah?«
»Klar.«
»Danke.« Decker lächelte sie an. Dann führte er den Zeichner aus dem Zimmer und ging mit ihm durch den Krankenhausflur. Er wartete mit dem Sprechen, bis sie aus Lilahs Hörweite waren.
»Ich fürchte, ich hab dich umsonst hierher bemüht, Leo. Sie hat mir so detaillierte Informationen über die Täter gegeben, daß ich dich in meiner Begeisterung sofort angerufen habe. Dann hat sie mir erklärt, daß sie sie niemals richtig mit den Augen gesehen hat. Sie hätte sich einfach im Kopf ein Bild von ihnen gemacht. Sie schwört, sie könnte genau sagen, wie die Männer aussahen, nachdem sie sie angefaßt hatten, obwohl sie die Augen verbunden hatte.«
Leo nahm seinen Block und die Musterbücher in die andere Hand. »Das hast du dir nicht zufällig gerade ausgedacht?«
»Dazu bin ich nicht kreativ genug.«
»Hat sie sich mit ihrer Hand auch ein Bild von dir gemacht, Pete?«
Decker merkte, wie ihm heiß wurde. »Sie ist auf mich fixiert.«
Leo zog den Bauch ein und fuhr mit der Zunge über sein Gebiß. »Ich hätt nichts dagegen, wenn sie auch auf mich fixiert wär.«
»Sie hat nicht alle Tassen im Schrank, Leo. Wenn ich das gewußt hätte, wär’ Marge jetzt hier.«
»Ach ja.«
Beide Männer lachten.
Decker sagte: »Es besteht eine geringe Chance, daß sie diese Kerle tatsächlich gesehen hat und es bloß nicht zugeben will … oder Angst hat, es zuzugeben. Vielleicht kennt sie sie, und diese Sache mit den Phantasiebildern ist nur dazu da, um mir zu verstehen zu geben, daß sie nicht gegen die beiden aussagen will. Also, wenn’s dir nichts ausmacht, tu ihr und mir den Gefallen und mach ein paar Zeichnungen.«
»Kein Problem, Sergeant. Ich bin doch ein alter Hase. Hab alles schon mal gehört oder gesehen.« Leo starrte den Gang hinunter. »Ich glaub, deine durchgeknallte Lady kriegt Besuch. Ich geh wohl besser erst mal in der Cafeteria ’nen Kaffee trinken. Ruf mich, wenn du mich brauchst.«
»Okay, Leo.«
Decker beobachtete die sich nähernde Gestalt. Groß, schlank, geschmeidig. Sie trug ein bodenlanges, figurbetontes, mit Pailletten besetztes schwarzes Kleid mit Schlitzen an den Seiten. Das Kleid funkelte bei jedem Schritt. Ihr Gesicht war weiß gepudert, doch ihre Züge wurden – bis auf die blutroten Lippen – von einem schwarzen Schleier verdeckt, der bis auf die Schultern fiel. Ihre Schuhe steckten in hochhackigen Pumps, die an den Rändern mit Rheinkieseln besetzt waren. Doch Gang und Haltung waren nicht die einer alten Frau, sondern die eines jungen Models. Sie ging nicht, sie schritt. Sie schwebte.
Davida Eversong hatte ihren Auftritt.
9
Sie schritt an ihm vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Decker folgte ihr in Lilahs Zimmer. Es war eine einseitige tränenreiche Begrüßung.
»Du lieber Gott, was ist denn nur mit meinem Baaaby passiert!« Davida umarmte ihre Tochter. »Mein armes, süßes Baaaaby.«
Eine heisere Stimme, dachte Decker. Und laut. Sie trug, wie man in der Branche sagte.
»Mein armes, liebes, süßes kleines Mädchen! Wie furchtbar!«
»Mutter, setz dich …«
»Du lieber Gott! Du lieber, lieber Gott!«
»Mutter! Setz dich hin!«
Davida ignorierte die Aufforderung, nahm ein schwarzes Spitzentaschentuch heraus und wischte sich unter ihrem Schleier die Augen. Lilah betrachtete sie.
»Du mußtest aber keine Trauer anlegen, Mutter. Ich bin nicht gestorben.«
Davida strahlte plötzlich. »Gefällt dir mein Kleid? Von Vilantano. Größe sechs. Ist das nicht unglaublich?«
Lilah sah Decker an. »Ich wurde überfallen, und sie redet über ihr Kleid. Das ist mal wieder typisch.«
»Oh, schimpf nicht mit mir, Delilah Darling. Natürlich liegt mir dein Wohl am Herzen! Als Freddy es mir erzählt hat, bin ich fast gestorben.«
»Ich hab ihn ausdrücklich gebeten, es dir nicht zu erzählen.«
Davida sah Decker an. »Sie wollte nicht, daß ich mich aufrege. Typisch meine Tochter … so
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