Decker & Lazarus 05 - Du sollst nicht luegen
auf dem Sessel hin und her. »Das ist eine verkrachte Existenz – ein Bridgespieler, um präziser zu sein. Sogar einer der besten Bridgespieler überhaupt. Er arbeitet als Berufsspieler in einem Club in Westwood, und vermutlich macht er dort so viel Geld, daß er sich nicht mit ehrlicher Arbeit abzugeben braucht. Eine Schande. Perry ist ganz schön gewieft, das muß ich ihm lassen. Allerdings trifft das ja auf die meisten Juden zu.«
»Haben die beiden sich … gütlich getrennt?« Marge nahm ihr Notizbuch heraus.
Merritt antwortete nicht.
»Ist es zwischen Lilah und Perry zu Feindseligkeiten gekommen, Dr. Merritt?«
Merritt zuckte die Achseln. »Das nehm ich an. Warum fragen Sie?«
Weil Marge gerade auf einen neuen Verdächtigen gestoßen war. Viele verärgerte Expartner tun gemeine Dinge – falls Merritt überhaupt die Wahrheit sagte. »Wie hat Lilah ihn kennengelernt?« fragte sie.
»Das ist eine alte Geschichte.«
»Wie wär’s denn mit einer kleinen Geschichtsstunde?«
»Zuerst mal, junge Dame, sollten Sie mir sagen, was mit meiner Schwester los ist!«
»Erst Sie, dann ich.«
»Das ist aber reichlich kindisch, Detective. Da hätte ich vom LAPD wirklich mehr erwartet.«
»Dr. Merritt, viel kindischer ist, wenn zwei angeblich erwachsene und gebildete Männer – zudem auch noch Ärzte – wie zwei Jugendliche aufeinander losgehen.«
Merritt sah sie lächelnd an. »Treffer, Detective, eine sehr scharfsinnige Bemerkung. Doch Wut kann selbst die besonnensten Männer zur Raserei treiben. Auch wir aus den heilenden Berufen sind nicht immun gegen Gefühle.«
Marge schwieg.
»Na schön«, sagte Merritt, als ob er zu einem Entschluß gekommen wäre. »Wie hat Lilah also Perry Goldin kennengelernt? Unglücklicherweise war ich derjenige, der ihn ins Haus gebracht hat. Mutter wollte ihre Bridgekünste verbessern, und als ich mich für sie umhörte, stieß ich immer wieder auf Perrys Namen. Er verkörperte alles, wovor man Lilah bei Männern gewarnt hatte – er war dreist, politisch links, hemmungslos und sagte immer offen seine Meinung. Ein penetranter Jude, wenn Sie mir das Klischee gestatten. Er legte demonstrativ keinen Wert auf sein Äußeres; seine Kleidung war immer alt und unmodern. Perry war kein übler Junge, er paßte nur einfach nicht zu Lilah. Doch da sie in ihrer Jugend selbst mit Rebellion geliebäugelt hatte, war Lilah sofort begeistert von ihm – verliebte sich in ihn. Es war zum Verrücktwerden, wie meine schöne, intelligente Schwester ihm wie ein ausgehungertes Hündchen nachlief, das scharf auf sein weltverbesserisches Gerede ist. Jedes Mal, wenn er sie anlächelte, schmolz sie dahin wie eine devote, viktorianische Dame. Später dann, während ihrer sogenannten Verlobungszeit, schloß sie sich häufig mit ihm in ein Zimmer ein, und dort haben sie dann stundenlang geredet. Ich hörte sie immer flüstern und kichern. Wie zwei Kinder. Weiß Gott, worüber die geredet haben. Sie hatten nichts miteinander gemein.«
Merritt seufzte tief.
»Mutter gab natürlich mir die Schuld. Mutter muß immer die Schuld auf jemanden schieben, wenn die Dinge nicht nach ihren Plänen laufen. Bis Perry auftauchte, hatte ich immer eine gute Beziehung zu Lilah. Mehr als gut, wir standen uns sehr nahe. Wir sind keine Familie, die ihre Gefühle offen zeigt, aber man hätte schon ein Idiot sein müssen, um nicht zu bemerken, wie viel meine kleine Schwester mir bedeutete. Ich war für sie gleichzeitig Vater und großer Bruder. Wir sind sechzehn Jahre auseinander. Was meinen Sie wohl, wer sich um das Kind gekümmert hat, während Mutter sich amüsierte? Ich hab dieses kleine Mädchen praktisch großgezogen, obwohl ich gleichzeitig studierte. Ich kann mich erinnern, wie ich ihr Fahrradfahren beibrachte, in der einen Hand den Lenker, in der anderen mein Lehrbuch für Biochemie. Sie lernte, wie man auf einem Zweirad fährt, während ich den Krebs-Zyklus studierte. Ist das nicht wahre Liebe? Als sie Perry heiraten wollte, besaß ich die Unverfrorenheit, mich auf Mutters Seite zu stellen, und seitdem ist es zwischen Lilah und mir nie mehr so wie früher gewesen.
Natürlich war die Verbindung ein Desaster. Zusammen herumzukichern reicht eben nicht für eine Ehe. Sie hielt zwei Jahre. Aber Lilah hätte nie zugegeben, daß ich recht und sie unrecht hatte. Irgendwie gab sie mir für das Scheitern ihrer Beziehung die Schuld. Vielleicht hat Mutter ihr das eingeredet, das würde mich überhaupt nicht wundern. Mutter hat so
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