Decker & Lazarus 08 - Doch jeder toetet, was er liebt
nicht mehr hineinpassen. Außerdem wäre es so gut wie unmöglich, es zu öffnen und wieder zuzunähen, ohne verräterische Spuren zu hinterlassen. Wenn Decker überhaupt so etwas wie ein Auge hatte, würde er sofort sehen, dass jemand an der Innenverkleidung herumgefummelt hatte.
Nichts überstürzen, dachte er. Es wird sich schon etwas ergeben.
Er setzte sich auf einen Hocker. Dann nahm er das Cello hoch zwischen die Knie und setzte den Stachel in die rechte Vertiefung. Er holte das Instrument zu sich heran, zog das Pferdehaar des Bogens über die Darmsaiten und entlockte seinem Cello die süßesten Töne mit einem ganz leichten Vibrato. Der Klangkörper gab ein Stöhnen von sich wie eine Frau in Ekstase. Seine Hände bewegten sich automatisch, während seine Gedanken ins Traumland abglitten. Die Musik war so rein, dass es weh tat.
Er fragte sich, wie Terry wohl gewesen wäre, wenn sie irgendwelche Töne von sich gegeben hätte. Als er sie geküsst hatte, hatte sie sich ihm mit ganzem Körper und ganzer Seele hingegeben. Er wusste, dass sie, nach einiger Zeit, wenn die jungfräuliche Ungeschicklichkeit verschwunden sein würde, eine wundervolle Liebhaberin geworden wäre. Unglücklicherweise wusste er aber auch, dass sie ihm nun immer ein Rätsel bleiben würde. Die Erkenntnis schmerzte ihn zutiefst.
Er hörte auf zu spielen und legte die Finger an die Stirn. Trotz seiner Ruhe wusste er, dass es schlecht um ihn stand. Er war auf dem Abstieg, und er konnte nichts dagegen machen. Er nahm wieder den Bogen und spielte. Dann hielt er plötzlich inne und biss mit den Vorderzähnen auf dem linken Daumennagel herum.
Nur eine Frage der Zeit, wann Decker mit dem Durchsuchungsbefehl hier aufkreuzen würde.
Wie hieß es noch in der Reklame? – Tu’s einfach!
Er legte das Cello hin, ging zum Flurschrank und suchte zwischen den Malutensilien, die er dort aufbewahrte. Dem Herrgott sei Dank, dass er so ordentlich war. Nach kurzem Suchen hatte er sein abgerundetes Modelliermesser gefunden und schnippte mit den Fingernägeln vertrocknete Farbreste von der Schneide. Als keine Rückstände mehr darauf waren, wischte er es an seinem T-Shirt ab und steckte das saubere Werkzeug ein. Dann schleppte er beide Celli – seine Rowland Ross und das Billiginstrument – in die Küche. Vorsichtig legte er sie auf die Seite.
Dann holte er den Smoking vom Balkon und roch daran. Er duftete nicht gerade superfrisch, aber entschieden nicht mehr so durchdringend wie noch vor zwanzig Minuten. Er legte das Jackett mit dem Schalkragen und die Hose mit dem Satinstreifen an der Seitennaht auf den Küchentresen und drapierte den Anzug wie einen Toten.
Scheiße, das würde weh tun!
Er nahm eine scharfe Schere aus der Küchenschublade, schnitt zuerst die Ärmel ab und trennte dann die Jacke in zwei Teile. Als Nächstes teilte er die Hose im Schritt. Sorgfältig untersuchte er die Ablage und nahm noch das winzigste Stückchen Faden auf. Unter dem Mikroskop sahen kleine Stückchen nämlich geradezu riesenhaft aus. Als er sich vergewissert hatte, dass alles sauber und perfekt war, wandte er seine Aufmerksamkeit den Instrumenten zu.
Als Erstes lockerte er die Saiten an der Rowland Ross, wobei er die Spannung vorsichtig immer mehr verringerte, bis der Steg sich bewegen ließ. Er zog die Saiten ab, nahm den Steg weg und schraubte den Saitenhalter ab.
Jetzt der schwierige Teil.
Er stellte die vordere Flamme an seinem Herd an.
Nimm dir Zeit. Nimm dir verdammt noch mal Zeit!
Er erhitzte das Modelliermesser, bis es fast rot glühend war, und nahm dann seine saitenlose Rowland Ross hoch. Geschickt führte er das glühend heiße Messer in die geleimte Naht zwischen dem Boden und der Seitenverschalung des Instruments, wobei er die Schneide vorsichtig, immer der geschwungenen Linie des Cellos folgend, den Zwischenraum entlangführte. Ihm stieg der beißende Geruch von verdampfendem Leim in die Nase. Von heißem Leim, aber nicht von brennendem Holz.
Ich danke dir, Heilige Mutter Gottes, dass du mir eine ruhige Hand geschenkt hast.
Er musste das Messer immer neu erhitzen und mehrmals die ganze Naht entlangfahren, bis der Leim endlich weich und klebrig war und der Boden sich lösen ließ. Jetzt noch ein bisschen wackeln und das Oberteil ging ab.
Er atmete erleichtert durch und wiederholte die Prozedur an seinem Billiginstrument. Dann prüfte er die Innenseiten. Am einfachsten wäre es, den Stoff auf die Rückseite zu kleben, aber er verwarf die Idee sofort
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