Decker & Lazarus 09 - Totengebet
Ich jedenfalls sehe die Blinklichter. Sind vielleicht eineinhalb Blocks weit entfernt. Soll ich sie über Funk anrufen?«
Decker spähte angestrengt durch die Nacht und versuchte Gaynors blinkende Lichter zu erkennen. »Nein, ich unterhalte mich später mit ihnen. Bringen wir die Identifizierung hinter uns.« Sein Blick schweifte zum Tatort. Die Sanitäter hatten Sparks auf eine Bahre gebettet. »Mach du dort drüben klar Schiff, Farrell. Damit der Sohn wenigstens Luft zum Atmen hat.«
Decker ging zu seinem Funkwagen, öffnete die Beifahrertür. Bram stieg aus, lehnte sich kurz gegen den Türrahmen, bevor er zu Decker trat.
»Brauchen Sie Hilfe?«
»Nein.«
»Dort drüben ist es.« Decker führte den Priester zur Bahre mit dem Leichnam. Decker machte einem der Sanitäter ein Zeichen. Dieser öffnete daraufhin den Reißverschluss des Leichensacks gerade so weit, dass der Kopf des Toten sichtbar wurde.
Der Priester senkte den Blick und wandte sich hastig ab. Dann machte er einen Schritt vorwärts. »Großer Gott!«
Decker warf verstohlen einen Blick auf den Leichensack. Tote Augen glotzten steil nach oben auf einen nebelverhangenen Mond. Decker griff nach dem Arm des Priesters, doch Bram schüttelte ihn ab.
»Ich bin okay.« Er fuhr sich fahrig mit der Hand an den Mund, und ließ den Arm wieder sinken. »Alles in Ordnung. Ich möchte ihn jetzt noch mal sehen.«
Decker starrte ihn an.
»Bitte«, sagte Bram ruhig. »Bitte, ich muss ihn noch einmal sehen. Sagen Sie ihm, er soll den Reißverschluss wieder öffnen.«
Decker nickte dem Sanitäter zu. Der Plastiksack wurde erneut geöffnet. Der Priester trat vor, zwang sich, den Blick zu senken. Dann fiel er unvermittelt auf die Knie und bekreuzigte sich. Er schloss die Augen, verkrampfte die Hände ineinander, presste sie gegen die Stirn und begann zu beten. Sein Mund bewegte sich in einem merkwürdig nuschelnden Singsang, der wie Latein klang. Decker machte den Sanitätern ein Zeichen, zurückzutreten.
Sollte der Sohn wenigstens vorübergehend die Illusion haben, in seiner Trauer allein zu sein.
5
Die letzte Eintragung in Dr. Azor Sparks’ Terminkalender war ein Arbeitsessen in der Klinik mit drei Personen: Reg, Myron und Liz. Ein kurzer Anruf bei seiner Sekretärin – Heather Manley – genügte, und Oliver verfügte über die vollständigen Namen: Reg war Dr. Reginald Decameron, Myron war Dr. Myron Berger und Liz war Dr. Elizabeth Fulton. Diese Eintragung war eine von vielen derselben Art in Sparks’ Kalender. Es waren stets wissenschaftliche Konferenzen, die zweimal pro Woche stattfanden, wie Heather Manley behauptete. Diese Besprechungen in der Form eines Arbeitsessens wurden stets in Sparks’ Konferenzzimmer und nicht im Troacadero’s abgehalten. Weitere Informationen allerdings waren in Heather Manleys hysterischem Schreianfall untergegangen.
Olivers Blick schweifte vom Terminkalender des Arztes ab und glitt prüfend durch das Büro. Der Raum war doppelt so groß wie sein Apartment. Und verdammt viel hübscher. Holzgetäfelte Wände, jagdgrüner Teppich mit hohem Flor, Stereoanlage, Bar und Kühlschrank … und ein Blick aus den Fenstern, der bis zu den Bergen reichte. Natürlich enthielt die Bar keine Alkoholika, sondern nur Fruchtsäfte, aber dem hätte man jederzeit abhelfen können. Oliver starrte auf den in Deckenhöhe angebrachten Fernsehapparat. »Vielleicht sollten wir den Fernseher anstellen«, schlug er Marge vor.
Marge schob Sparks’ oberste Schreibtischschublade zu. Der Inhalt war unergiebig. Sie versuchte ihr Glück bei den darunter liegenden Aktenfächern und dem altmodischen Aktenregalschrank. Natürlich waren sie verschlossen. »Pech, für dich Scotty. Kann mir nicht vorstellen, dass Sparks Free TV abonniert hatte. Auf deine tägliche Dosis Sex im Fernsehen musst du heute verzichten.«
»Besten Dank für die Blumen. Ist doch immer wieder erfrischend, von dir als geiler Bock hingestellt zu werden.« Oliver legte Markierungen in Sparks Terminplaner. »Hätte mich eigentlich nur interessiert, ob der Mord den Nachrichtensendungen schon eine Meldung wert ist. Sobald die Geschichte nämlich raus ist, steht das ganze Krankenhaus Kopf. Hat man schließlich an seiner Sekretärin gesehen. Wo, zum Teufel, bleibt sie überhaupt? Sie wollte doch in einer Viertelstunde hier sein. Ist schließlich keine Hauptverkehrszeit mehr.«
Marge begutachtete prüfend eine eingebaute Bücherwand und ließ ihren Finger über die Rücken dicker
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