Defcon One 01 - Angriff auf Amerika
Startkontrollzentrum könnten alle Geiseln sterben, wenn wir die Crew evakuieren oder Mission Control stürmen. Wir werden abwarten, wie die Forderungen lauten, bevor wir etwas unternehmen, was vielleicht viele Menschenleben kostet. So wie ich das sehe, wird in weniger als einer Stunde der Start erfolgen. Mit oder ohne Terroristen an Bord.«
Zehn Sekunden herrschte absolute Stille, bis sich McNab aus Florida zu Wort meldete und die Stimmung noch einmal zusätzlich anheizte.
»Wenn wir den Shuttle starten lassen, ist das Ziel die ISS. Wir haben dann ein noch größeres Problem als jetzt, sollten die Terroristen tatsächlich an Bord gelangen. Wenn wir das verhindern wollen, gibt es nur eine einzige Möglichkeit für uns.«
Der Präsident hatte damit gerechnet, ausgerechnet von McNab den Horror in Worte gefasst zu bekommen. Mit einem dumpfen Gefühl in der Magengegend bereitete er sich innerlich darauf vor, jetzt die wahnsinnige Alternative präsentiert zu bekommen.
»Und? Was schlagen Sie vor?«
»Wir starten sofort, ohne GO NO GO, wobei die feindlichen Fallschirmjäger am Startkomplex mit draufgehen. Gleichzeitig vernichten wir das Flugkontrollzentrum in Houston mit einem gezielten Raketenangriff aus der Luft. Ohne Vorwarnung, damit den dortigen Terroristen nicht die Gelegenheit bleibt, per Fernzündung noch den Selbstzerstörungsmechanismus an der Atlantis zu aktivieren. Wir verlieren zweihundert Zivilisten, schieben die Zerstörung von Mission Control den toten Geiselnehmern in die Schuhe und retten das Raumfahrtprogramm. Das MCC kann man wieder aufbauen, der Kollateralschaden hält sich bei der ganzen Sache in Grenzen. Ansonsten haben wir den Terror im Weltraum, mitten auf der ISS. Und dann weitet sich das Problem zu einer internationalen Krise aus, bei der wir plötzlich mit den Europäern, den Japanern, den Kanadiern und den Russen am Verhandlungstisch sitzen und darüber debattieren, ob wir Lösegeld zahlen oder unsere Militärbasen in Übersee schließen, worauf es ja wohl hinauslaufen wird.«
Der Stimmung im Situation Room war nun aufgeheizt wie in einer Boxarena. McNab hatte zum Ausdruck gebracht, was einige dachten, sich aber nicht zu sagen trauten. Voraussetzung für McNabs Plan war allerdings der sofortige Start der Fähre. Und genau an diesem Punkt herrschte Uneinigkeit darüber, ob das technisch überhaupt realisierbar war. Mit wachsendem Entsetzen beobachtete George T. Gilles seine Mitarbeiter, wie sie diese Option ernsthaft in Erwägung zogen und hunderte unschuldige Zivilisten in einem fast spielerischen Pro und Contra zur Zielscheibe der eigenen Militärs machten. Mit Ausnahme von General Grant, Vizepräsident Walter Franklin und Außenminister Don Fletcher schienen sich alle darüber einig, McNabs Vorschlag in die Tat umzusetzen.
In diesen Minuten fühlte sich das Staatsoberhaupt der mächtigsten Nation der Welt wie ein zum Tode verurteilter Mann im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses, dem man großzügig die Wahl zwischen dem elektrischen Stuhl oder der Giftspritze überließ. Seine Gedanken schweiften zu seiner Tochter ab, deren Lage nicht weniger prekär war. Als Präsident und Oberbefehlshaber der Streitkräfte war es seine Pflicht, nationale Interessen über private Interessen zu stellen. Und je mehr er darüber nachdachte, desto deutlicher sah er die Sackgasse, in die er lief. Er war im Grunde genommen befangen und konnte in dieser Situation keine Entscheidung treffen. McNabs Plan würde Tracy womöglich das Leben retten – doch der Preis wären die Toten in Texas. Und mit dieser Schuld würde George T. Gilles nicht leben können. Selbst wenn er in diesem Augenblick zurücktreten würde, wäre die Situation damit nicht bereinigt, da Vizepräsident Franklin, der langjährige Freund und Weggefährte, eher auf die Amtsnachfolge verzichten würde, als dass er zusah, wie die Tochter des Präsidenten durch seine wie auch immer geartete Entscheidung vielleicht sterben musste. Das Risiko eines Machtvakuums in der jetzigen Stunde war viel zu riskant für das Land, und der Präsident mochte sich gar nicht vorstellen, wer plötzlich das Ruder in der Hand haben könnte. Deshalb entschied er sich zum Warten. Er bat um Ruhe und schaute in die gespannten Gesichter am Konferenztisch.
»Ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich werde dem Vorschlag von Minister McNab nicht zustimmen, da ich die persönliche Verantwortung für den Tod unschuldiger Zivilisten nicht übernehmen möchte. Solange ich
Weitere Kostenlose Bücher