Dein Auftritt Prinzessin
wurde) und hat einen DSL-Anschluss legen lassen. Jetzt können wir jederzeit ins Internet, ohne dass jedes Mal das Telefon besetzt ist.
Es ist wie ein kleines Wunder.
Aber das ist noch nicht alles. Mr G hat sich nämlich auch die Dunkelkammer vorgenommen, die sich Mom in ihrer früheren Ansel-Adams-Foto-Phase eingerichtet hat. Er hat die Bretter rausgerissen, mit denen die Fenster vernagelt waren, und die ganzen giftigen Chemikalien weggeworfen, die seit ewigen Zeiten dort rumstanden, weil Mom und ich Angst hatten, sie anzufassen. Die Ex-Dunkelkammer wird jetzt das neue Kinderzimmer! Es ist total sonnig und gemütlich. Das heißt - es war bestimmt sonnig und gemütlich, bis Mom die Idee mit den Wandgemälden hatte (natürlich
mit unbedenklichen Farben auf Eiweißbasis, um die Gesundheit ihres ungeborenen Babys nicht zu gefährden). Sie hat angefangen, die Wände mit Szenen aus der jüngeren amerikanischen Geschichte zu bemalen - z. B. dem Prozess gegen Winona Ryder und der Verlobung von J Lo mit Ben Affleck. Sie möchte, dass das Baby schon von klein auf ein Verständns für die Probleme unseres Landes entwickelt. (Mr G hat mir vorhin unter vier Augen verraten, dass er die Wandgemälde überstreichen lassen will, sobald bei Mom die Wehen einsetzen und sie in die Klinik kommt. Er glaubt, nach der Geburt wird sie so von Glückshormonen überschwemmt, dass ihr alles egal ist. Gott sei Dank hat sich Mom diesmal einen Mann mit gesundem Menschenverstand ausgesucht, um sich fortzupflanzen.)
Aber das Schönste am Nachhausekommen war die Nachricht, die mich auf unserem AB erwartete. Mom hat sie mir gleich vorgespielt, als ich zur Tür hereinkam.
Sie war von Michael!!!! DIE ERSTE NACHRICHT VON MICHAEL AUF AB, SEIT ICH SEINE FESTE FREUNDIN BIN!!!!!!!
Was natürlich beweist, dass sie funktioniert. Die Nicht-Anruf-Strategie, meine ich.
Ich schreib mal auf, was er gesagt hat:
»Äh, hi, Mia? Ja, also, ich bin’s … Michael. Ich wollte dich nur fragen, äh, ob du mich anrufen könntest, wenn du wieder da bist. Ich hab ja schon seit längerem nichts mehr von dir gehört und frag mich, ob … äh, alles okay ist. Und ob du heil angekommen bist. Oder ob irgendwas los ist. Okay, das war’s auch schon.Tja. Tschüss dann. Ach so, ich bin’s, Michael. Oder hatte ich das schon gesagt? Keine Ahnung. Ach so, hi, Mrs Thermopolis und hi, Mr G. Hm, okay. Tja. Ruf mich an, Mia. Tschüss.«
Ich hab die Kassette aus dem AB genommen und in meine Nachttischschublade gelegt, neben …
1. ein paar Reiskörner aus dem Sack, auf dem Michael und ich auf dem Ball der Kulturen saßen - in Erinnerung an unseren ersten, eng umschlungenen Tanz
2. eine Scheibe trockenes Toastbrot, die in der »Rocky Horror Picture Show« von den Zuschauern an die Leinwand geworfen wurde - in Erinnerung an unser erstes gemeinsames Date. Obwohl es eigentlich kein echtes Date war, weil Kenny neben uns saß
3. eine aus Papier ausgeschnittene Schneeflocke vom Jahresendzeitsball - in Erinnerung an unseren ersten Kuss.
Das war das beste Weihnachtsgeschenk, das ich mir vorstellen kann. Die Nachricht auf dem AB, meine ich. Sogar noch besser als der DSL-Anschluss.
Ich bin dann in mein Zimmer, um meine Koffer auszupacken, und hab mir die Nachricht ungefähr fünfzigmal auf meinem Kassettenrecorder angehört. Mom platzte alle zehn Minuten rein, um noch mal mit mir zu knuddeln oder zu fragen, ob ich mir ihre neue Liz-Phair-CD anhören oder ihre Schwangerschaftsstreifen begutachten möchte. Als sie ungefähr zum dreizehnten Mal reinkam und ich mir immer noch Michaels Nachricht anhörte, fragte sie: »Hast du ihn denn noch nicht zurückgerufen, Spatz?«, und als ich den Kopf schüttelte, sagte sie: »Wieso denn nicht?«
»Weil ich es wie Jane Eyre machen möchte«, hab ich geantwortet.
Da hat Mum misstrauisch die Augen zusammengekniffen und diesen Blick gekriegt, den sie immer hat, wenn im Fernsehen darüber diskutiert wird, dass die staatlichen Subventionen für Kunst und Kultur wieder gekürzt werden sollen.
»Jane Eyre?«, wiederholte sie. »Etwa die aus dem Buch?«
»Genau die«, sagte ich und zog die kleine, mit Brillanten besetzte napoleonische Serviettenklammer, die mir der französische Premierminister zu Weihnachten geschenkt hat, unter dem Bauch von Fat Louie hervor, der sich in meinem Koffer breit gemacht hatte. Wahrscheinlich dachte er, ich würde ein- und nicht auspacken, und wollte mich daran hindern, ihn schon wieder allein zu lassen. »Weil Jane ihrem Mr
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