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Dein bis in den Tod

Dein bis in den Tod

Titel: Dein bis in den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Magen.
    Ich goss Wasser in ein Augenglas und spülte die Augen in lauwarmem Salzwasser. Das kurierte die Augen nicht auf Dauer, doch es entfernte immerhin einen Teil des Sandes.
    Ich war bereit für die Dusche, das Frühstück und den erneuten Kampf ums Dasein. Im Büro vergewisserte ich mich kurz, dass es sich im Lauf der Nacht nicht aus dem Staub gemacht hatte. Nach einigem Hin und Her bekam ich den von der Kommune angestellten Jugendbetreuer namens Gunnar Våge ans Telefon. Ich kündigte ihm meinen Besuch an, sagte allerdings so gut wie nichts darüber, worum es ging. Dann setzte ich mich in den Wagen und fuhr los.
    Die Straßen waren nass und glatt und das Gras am Straßenrand war bereift. Die Hänge des Lyderhorn zeigten offene, weiße Frostwunden von neuem, unwillkommenem Schnee. Es war plötzlich wieder Winter.
    Der Jugendbetreuer hatte sein Büro in dem ersten der Hochhäuser. Ich nahm den Haupteingang. An der rechten Wand hingen zwei Schilder. Auf einem gelben Metallschild stand mit schwarzen Buchstaben: Schutzraum. Das Schild hatte die Form eines Pfeils und zeigte auf eine Kellertür, die angelehnt war und von einem Holzkeil in dieser Stellung gehalten wurde. Unter dem ersten Schild hing ein handgemaltes mit frischen, jugendlichen Farben: Jugendclub. Jugendbetreuer. Ein Pfeil in kräftigem Rot zeigte in die gleiche Richtung wie der andere.
    Ich folgte den Pfeilen die Kellertreppe hinunter. Es war eine dieser grauen, kalten Betontreppen, die den Eindruck erwecken, als führten sie direkt hinab in die Katakomben. Auf der rechten Wand waren ein paar kräftige Pfeile in der gleichen roten Farbe. Man brauchte jedenfalls nicht viel Fantasie, um den Weg zu finden.
    Ich ging an einer Reihe von Kellerräumen vorbei, die sämtlich mit ungewöhnlich schweren Vorhängeschlössern versehen waren, und gelangte zu einer Eisentür, auf der der gleiche dreifache Willkommensgruß stand: Schutzraum. Jugendclub. Jugendbetreuer. Ich öffnete die Tür, trat ein und stand in einem großen Betonraum mit niedriger Decke. Er war mit soliden, einfachen Holzmöbeln ausgestattet: lange Tische, lange Bänke, ein paar Schemel und Holzstühle. An den Wänden hingen Bilder von Popstars, Fußballern, Paaren im Sonnenuntergang und Per Kleppe. Warum der da hing, war mir nicht ganz klar, doch es sah so aus, als hätten sie sein Bild als Zielscheibe beim Dartspiel benutzt. Es war durchlöchert wie ein Kommunalbudget.
    In einer Ecke stand ein sichtlich gebrauchtes, braunschwarzes Klavier, und auf die Wände war mit Leuchtfarbe gesprayt: Cool sein ohne Rauch, das schaffst du doch auch. Es war wohl eine Art Poesie.
    Die Holztür an der hinteren Wand war nur angelehnt, und klares, weißes Licht fiel durch den Spalt nach draußen. Ich klopfte an.
    »Herein«, kam von drinnen und ich folgte der Aufforderung.
    Ich betrat ein winziges Büro. Die Wände waren mit unbehandeltem Holz verkleidet, und der gelbbraune Schreibtisch sah aus, als sei er vom Flohmarkt. An der Wand hing ein großer Kalender mit Jahresübersicht. Einige Daten waren mit verschiedenen Farben, Kreisen und Quadraten versehen. Ein großes Poster zeigte eine weiße Bergspitze hinter den Zweigen eines rotbraunen Kiefernstammes. Ein Minibücherregal enthielt ein paar Aktenordner, Zeitschriften, fotokopierte Rundschreiben und ein paar zerlesene Comichefte. Auf dem Schreibtisch stand eine alte Remington-Schreibmaschine von der Jahrhundertwende mit Tasten wie Barhocker. Es war unklar, ob sie zum Schreiben diente oder nur als Dekoration.
    Der Mann hinter dem Schreibtisch sah mich aus großen dunkelbraunen Hirschaugen an. Obwohl er kaum viel älter als dreißig sein konnte, war sein Schädel fast vollständig kahl. Ein paar dünne, blonde und krause Haare waren an den Seiten nach unten gekämmt, über die Ohren und in den Nacken. Es sah putzig aus.
    Sein Mund war genauso traurig wie seine Augen, mit einem Trauerrand aus dunklen Bartstoppeln. Er trug einen braunen Rollkragenpullover und grüne Kordhosen, und als er aufstand, sah ich, dass er ziemlich füllig war. Er reichte mir zur Begrüßung eine blasse Hand. »Veum, vermute ich?«
    Ich nickte.
    »Gunnar Våge. Setzen Sie sich.« Er zeigte auf einen Stuhl vom gleichen Typ, wie sie draußen in dem großen Raum standen. Er selbst setzte sich in seinen breitschultrigen Bürostuhl, dessen Armlehnen wie Sprungski aussahen.
    Dieses beklemmende Schweigen, wie es zuweilen zwischen zwei Menschen entsteht, die sich zum ersten Mal begegnen, trat ein. Ich

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