Dein Blut auf meinen Lippen
Julia Capulet zur Frau nehmen? Willst du sie lieben und ehren, für sie sorgen und ihr die Treue halten, in guten wie in schlechten Tagen, bis dass der Tod euch scheidet?", fragte Bruder Lorenzo.
Julia drückte Romeos Hand, als sie ihn "Ja, ich will" sagen hörte.
Der Mönch fuhr fort: "Julia Capulet, willst du Romeo Montague zum Mann nehmen? Willst du ihn lieben und ehren, für ihn sorgen und ihm die Treue halten, in guten wie in schlechten Tagen, bis dass der Tod euch scheidet?"
"Ja, ich will", antwortete Julia laut und deutlich.
Dann forderte der Mönch Romeo auf, das kirchliche Ehegelöbnis nachzusprechen, und während der junge Mann den Schwur Wort für Wort wiederholte, dachte Julia über das Wort "Tod" nach. Noch wenige Tage zuvor war sie nahe daran gewesen, sich umzubringen, damit sie kein Vampir zu werden brauchte. Doch nun stand sie hier diesem wunderbaren Mann gegenüber und konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als Tag für Tag mit ihm zusammen zu sein, egal was mit ihrem Körper, ihrem Wesen, ihrer Seele geschah.
Plötzlich wurde ihr jedoch ganz elend, als sie daran dachte, dass Romeo eines Tages sterben musste. Gleichzeitig schämte sie sich dafür, in einem so wundervollen Augenblick wie diesem an so etwas zu denken. Doch wenn sie ehrlich vor sich selbst war, musste sie sich eingestehen: Das Furchtbarste an ihrer Unsterblichkeit war, dass sie eines Tages ohne Romeo weiterleben musste.
Bruder Lorenzo wandte sich nun an Julia, damit sie das Ehegelöbnis nachsprach.
Sie versuchte sich zu sammeln und nur noch daran zu denken, wie sehr sie Romeo liebte. Dann wiederholte sie den Schwur aus vollem Herzen.
Bruder Lorenzo beugte sich zu Romeo vor und fragte: "Hast du Ringe besorgt?"
Julia sah, wie das Lächeln in Romeos Gesicht gefror. Dann streichelte er ihr die Hand.
"Es tut mir leid, Liebste, aber daran habe ich gar nicht gedacht", murmelte er.
Julia konnte ihm ansehen, wie peinlich es ihm war, und sagte zärtlich: "Das macht nichts. Wir müssen unsere Hochzeit ohnehin geheim halten. Da ist es viel besser, keine Ringe zu tragen."
Bruder Lorenzo nickte. "Wahr gesprochen, mein Kind."
Romeo seufzte vor Erleichterung, lächelte Julia an und formte mit den Lippen das Wort danke.
"Dann kniet jetzt nieder und beugt eure Köpfe", wies der Mönch sie an.
Julia fühlte ihr Herz klopfen, als sie und Romeo der Aufforderung nachkamen.
"Allmächtiger Gott, gib, dass Romeo und Julia ihren Schwur befolgen und von nun an in Liebe und Frieden zusammenleben, getreu deinen Geboten."
Am liebsten hätte Julia den Kopf gehoben, um Romeo in die Augen zu sehen. Nun war er nicht nur der junge Mann, den sie liebte, sondern ihr angetrauter Gemahl. Sie konnte ihr Glück kaum fassen.
"Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau", verkündete Bruder Lorenzo feierlich.
"Dürfen wir wieder aufschauen?", fragte Romeo ungeduldig.
"Ja, bitte", sagte der Mönch und klappte lächelnd das Buch zu. "Du darfst die Braut sogar küssen."
Julia bekam eine Gänsehaut, als Romeo mit der Hand ihren Arm hinauffuhr und dann am Rücken wieder hinab bis zu ihrer Taille. Er trat ganz nah an sie heran und hob den Kopf, um sich Julias neuer Größe anzupassen. Als sie ihm die Hand auf die Schulter legte, zog er sie noch ein Stück näher zu sich. Dann beugte sie sich vor, bis ihre Lippen sich zart berührten.
Romeos Lippen fühlten sich immer noch wie Tulpenkelche an, aber Julia war zutiefst erschüttert, als sie
spürte, dass sie nicht nur ihre Süße schmeckte, sondern auch das Blut der Montagues.
Romeo eilte durch den dichten Wald, der das Kloster umgab. Achtlos trampelte er mit seinen Stiefeln das Herbstlaub nieder, duckte sich unter niedrig hängenden Zweigen hindurch und sprang über Baumstümpfe und Wurzelgeflechte. Wenn er einmal stolperte oder ins Straucheln kam, lachte er nur.
Obwohl seine Hochzeit nicht ganz undramatisch gewesen war - er hätte nie gedacht, dass seine Braut am Traualtar neben ihm schweben würde -, schäumte er vor Glück und Elan geradezu über. Die Frau, die er so sehr liebte, hatte geschworen, ewig die Seine zu sein, und er hatte den Schwur erwidert. Nun brauchten sie nur noch abzuwarten, bis Julias sechzehnter Geburtstag vorbei war. Dann würde er ihr helfen, aus dem Schloss der Capulets zu fliehen. Danach stünde ihnen die ganze Welt offen, und sie würden sie gemeinsam erkunden.
Er erreichte den Stadtrand kurz vor Einbruch der Dämmerung. Der Himmel, an dem graue Wolken hingen, färbte sich
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