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Dein Blut auf meinen Lippen

Dein Blut auf meinen Lippen

Titel: Dein Blut auf meinen Lippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gabe
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Wenn ich von Romeo getrennt bin, werde ich diesen schrecklichen Moment nicht überleben."
    Die Amme stand auf und glättete ihren Rock, dann nahm sie ihre Haube vom Boden und setzte sie wieder auf.
    Julia sah, dass sie den Tränen nahe war.
    "Du musst aber überleben, mein Kind", sagte die Amme leise. "Denn ich bin mir nicht sicher, ob ich sonst weiterleben kann."

 

    Immer wieder wanderte Romeo in Bruder Lorenzos Klosterzelle im Kreis herum - Hände und Kleidung waren immer noch rot von Tybalts Blut. Sein Herz schlug noch schneller als auf der Flucht hierher. Er fühlte sich eingesperrt und konnte nichts anderes tun, als vor seinem inneren Auge die grausamen Bilder von Mercutios Tod und Tybalts abgetrenntem Kopf wieder und wieder Revue passieren zu lassen.
    Sein Nacken schmerzte, und er versuchte, die Verspannung zu lösen, indem er den Kopfkreisen ließ, aber das nützte nichts. Dann suchte er Trost bei dem Gedanken, dass Fürst Radu mit der Verbannung ein vergleichsweise mildes Urteil gefällt hatte. Doch das konnte ihn nicht wirklich trösten, denn die Verbannung bedeutete, dass er - für wer weiß wie lange - nicht bei seiner geliebten Julia sein konnte. Und das würde die reinste Folter sein.
    Schließlich unterbrach er seine Wanderung und blieb vor einem Bleiglasfenster stehen. Den Kopf an die Scheibe gelehnt, starrte er in die umliegenden Wälder. Seine Hände zitterten, genau wie seine Unterlippe, und langsam wurde ihm das volle Ausmaß der Schuld bewusst, die er auf sich geladen hatte.
    Obwohl Tybalt den Kampf angefangen hatte und Romeos Racheakt in den Augen der Öffentlichkeit vermutlich als verzeihlich - oder zumindest verständlich - gelten würde, machte er sich schwerste Vorwürfe. Wäre er gar nicht erst bei den Capulets eingedrungen, hätte sich nichts von alledem ereignet. Aber dann wäre er auch nicht der Frau begegnet, die er über alles liebte.
    Und ausgerechnet sie war die Cousine des Vampirs, den er nun getötet hatte.
    Romeos Gedanken drehten sich im Kreis, als es an der Tür klopfte. Vor Schreck hielt er die Luft an.
    "Ich bin’s." Die sanfte Stimme Bruder Lorenzos hallte leise durch die Gänge. "Darf ich hereinkommen?"
    Romeo setzte sich und seufzte vor Erleichterung. "Ja, nur zu."
    Bruder Lorenzo brachte einen Eimer Wasser. Der volle Behälter war so schwer, dass der hagere Mönch wankte und der Eimer überschwappte.
    "Hier. Mach dich erst mal sauber." Der Mönch wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Dann holte er ein Stück Seife aus einer Tasche seiner Kutte. "Sie ist mit Olivenöl gemacht und sollte die Blutflecke auf deiner Haut mühelos entfernen. Was deine Kleider betrifft, bin ich mir hingegen nicht so sicher."
    Romeo wagte kaum, dem Mönch in die Augen zu sehen, als er sich bedankte.
    "Gern geschehen", sagte Bruder Lorenzo. "Soll ich dich jetzt allein lassen?"
    "Nein, deine Gesellschaft tut mir gut", erwiderte Romeo. "Ich weiß nur nicht... was ich sagen soll."
    "Du stehst unter Schock", sagte der alte Mann verständnisvoll. "Das würde jedem so gehen."
    "Jedem?" Romeo lachte bitter auf. "Weißt du denn nicht, dass es für uns Montagues ein großer Spaß ist, Vampire zu töten?"
    Er starrte auf die Blutspritzer an seinen Hemdsärmeln und nahm sie zum ersten Mal richtig wahr. Sie mussten von Tybalt stammen. Der große Fleck in der Ärmelmitte hingegen stammte von Mercutio, denn Romeo hatte ihn in den Armen gehalten, als er seine letzten Atemzüge machte. Je länger Romeo sein Hemd betrachtete, desto wütender wurde er. Schließlich zerriss er es und warf die Fetzen auf den Boden.
    Dann hockte er sich vor den Wassereimer und begann sich zu waschen. Mit beiden Händen goss er sich Wasser über den Kopf. Unvermittelt hielt er inne und begann lautlos zu weinen. Es schüttelte ihn so, dass seine Schultern zitterten.
    "Es tut mir so leid, Bruder Lorenzo", schluchzte er. "Ich wollte nicht, dass all das passiert."
    Der Mönch legte ihm die Hand auf den Kopf. "Wenn du um Vergebung bittest, mein Sohn, wird sie dir zuteil werden."
    Romeo betrachtete sein Spiegelbild im Wasser. Den Menschen, den er dort sah, erkannte er nicht wieder. Er war kein naiver Jüngling mehr, der von der Liebe träumte, sondern ein erwachsener Mann, der dem Tod ins Auge geblickt hatte und sich dessen bewusst war. Ein Mann, der auf keinen Fall wollte, dass eine ganz bestimmte Frau je erführe, was geschehen war.
    "Wenn das so einfach wäre, Bruder ...", sagte er verzweifelt. "Ich habe Julias Cousin

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