Dein Blut auf meinen Lippen
um ihren Machterhalt. Sie fragte sich, wie man so egoistisch sein konnte.
"Dein Vater glaubt, Graf Paris könnte bereit sein, seinen Lebenswandel zu verändern, wenn er erst mal verheiratet ist", fuhr die Gräfin fort. "Dann säße er auf dem Trockenen und hätte umso mehr Grund, Fürst Radu von diesem verfluchten Friedensvertrag abzubringen. Verstehst du jetzt, was für eine wichtige Rolle du bei alledem spielst?"
"Und was war das gerade eben mit dem Fächer? Du warst stark genug, um ihn herbeizuzaubern. So schlimm kann es also noch nicht um dich stehen. Bist du dir sicher, dass es keine andere Erklärung für deine Hautprobleme gibt?" Bei diesen Worten legte Julia unwillkürlich die Hand auf die Wange ihrer Mutter. "Und selbst wenn deine Kräfte wirklich nachlassen, gibt es doch bestimmt etwas anderes, womit du dich stärken kannst." Julia wurde immer leiser, weil sie genau wusste, dass ihre Mutter von all ihren Bedenken und Einwänden nichts hören wollte.
"Willst du mir jetzt Gauklertricks empfehlen?" Die Gräfin stieß Julias Hand unsanft fort. "Der Wohlstand der Capulets hängt von dir ab, mein Fräulein, ob es dir nun passt oder nicht. Ich werde nicht zulassen, dass du dich deinen Pflichten entziehst."
Julia wagte einen weiteren Verhandlungsversuch. "Vielleicht können wir Graf Paris ja auf eine andere Weise gewinnen. Mit Geld oder Schmuck oder einem Teil unserer Ländereien. Ich würde ihm alles geben, was er will - nur nicht mein Herz und mein Leben."
Statt auf ihre Tochter einzugehen, schwebte die Gräfin ohne ein weiteres Wort aus der Kammer.
Julia atmete tief durch und versuchte den Kloß loszuwerden, der ihr im Hals zu stecken schien. Sie fühlte sich so mitgenommen, dass sie sich mit beiden Händen am Bettpfosten festhalten musste. Verzweifelt überlegte sie, was sie tun konnte, um nicht noch mehr Kontrolle über ihr eigenes Leben zu verlieren. Aber ihr fiel nichts ein. Es gab einfach keine Hoffnung. Nicht mal einen Schimmer.
"Bist du ansprechbar?", fragte jemand.
Die Stimme kam vom Eingang ihrer Kammer her. Julia drehte sich um und sah das rosige, runde Gesicht der Amme, die den Kopf zur Tür hereinsteckte.
"Eigentlich nicht", erwiderte Julia. "Komm trotzdem rein."
Die Amme schleppte einen metallenen Kasten mit einem langen, gebogenen Henkel herein und stellte ihn auf den Tisch gegenüber Julias Bett. Dann wischte sie sich die Hände am Saum ihrer Schürze ab.
"Was ist das?", fragte Julia neugierig.
Die Amme zog die Stirn kraus und räusperte sich, ehe sie sprach. "Dein Vater schickt es dir. Es hat etwas mit deiner Verwandlung heute Nacht zu tun. Aber ich weiß nicht, was drin ist."
Alles, was mit ihrer Verwandlung zusammenhing, war Julia so zuwider, dass sie lieber nicht selbst in den Kasten schauen wollte. Deshalb bat sie die Amme darum.
Die Frau nahm den Deckel ab, warf einen Blick hinein und senkte dann bestürzt den Blick.
"Es sind Waffen, mein Kind", sagte sie leise. "Alle möglichen Waffen."
Julia wurde so wütend, dass sie auf den Tisch zustürmte, dabei heftig gegen die Amme stieß und sie beinahe zu Fall brachte. Dann nahm Julia den Deckel und knallte ihn auf die Kiste. Dabei stieß sie einen Schrei aus, der wie der eines wilden Tieres klang. Auch ihr Vater produzierte solche Laute, wenn er wütend war. Erschrocken über sich selbst sank Sie auf den grauen Wollteppich. Ihr Atem ging in kurzen, keuchenden Stößen.
"Meine Eltern wollen, dass ich Romeo töte", sagte sie mit erstickter Stimme und konnte kaum die Tränen zurückhalten, als die Amme sich zu ihr auf den Boden setzte. "Was soll ich tun, gute Amme? Ich brauche deinen Rat mehr denn je."
Die Amme fuhr mit den Fingerspitzen durch Julias Haar. "Mach dir keine Sorgen, Liebes. Wenn Romeo auch nur einen Funken Verstand besitzt, hält er sich an einem Ort versteckt, wo ihn niemand finden kann, nicht einmal du."
"Das allein ist es nicht", entgegnete Julia und stieß die Hand der Amme fort. "Egal, wen ich heute Nacht als Ersten töte, wollen meine Eltern mich zwingen, morgen Graf Paris zu heiraten. Und wer weiß, was sie noch alles von mir verlangen werden."
"Na, na! Ich glaube, du lässt dir gerade von deinen Gefühlen den Verstand vernebeln." Die Amme sprach ganz ruhig, um mäßigend auf ihre junge Herrin einzuwirken. "Wenn du die Sache mit einem kühlen Kopf betrachtest und das Herz außen vor lässt, musst du zugeben, dass Romeo dir nichts zu bieten hat. Schon gar nicht, seit er des Landes verwiesen wurde. Graf
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