Dein Blut auf meinen Lippen
Meist sind diese Versuche bedauerlicherweise fehlgeschlagen, aber es wurde wiederholt von einem geglückten Fall berichtet. Entscheidend war hierbei die Art der Blutreinigung: Nachdem der Leichnam die Leichenstarre überwunden hatte (etwa sechsunddreißig Stunden nach Eintritt des Todes), wurde sein Blut mit einer Mischung dreier verschiedener Salze versetzt - aus rosafarbenem und schwarzem sowie Meersalz. Als das so präparierte Blut einem Sohn der Finsternis eingeflößt wurde, nahm er wieder die menschliche Gestalt an, die er vor seiner Verwandlung zum Vampir gehabt hatte.
Julia konnte es kaum glauben. War es wirklich möglich, dass sie ein Mensch bleiben konnte, genau wie ihr Gemahl? Es war fast zu schön, um wahr zu sein! Aber zum ersten Mal konnte sie wieder Hoffnung schöpfen und lächeln. Es folgte allerdings noch ein weiterer Absatz, und als Julia ihn las, schossen ihr wieder Tränen in die Augen.
Dieses Prozedere kann jedoch nur sehr selten durchgeführt werden, da es äußerst schwierig ist, die drei verschiedenen Salze zu beschaffen, denn sie stammen aus den entlegensten Teilen der Erde.
Enttäuscht schlug Julia das Buch zu. Ihre Unterlippe zitterte, als sie sagte: "Wollen Sie mich zum Narren halten, Bruder Lorenzo?"
Irritiert runzelte der Mönch die Stirn. "Aber ganz im Gegenteil! Ich will euch helfen."
"Aber hier steht doch schwarz auf weiß, dass die drei Salze, die für die Blutreinigung benötigt werden, irgendwo am Ende der Welt zu finden sind", schluchzte Julia. "Wer sollte sie herbeischaffen?"
"Ich gebe zu, dass es schwierig ist", erwiderte der Mönch. "Aber es ist nicht unmöglich." Er rieb sich die Hände und lächelte ermutigend. "Ich kenne einen Schamanen, der als Eremit in Moldawien lebt. Gut möglich, dass er alle drei Salze in seinem Besitz hat."
Julia machte große Augen. "Ist das wahr?"
"Ja. Aber um ehrlich zu sein, halte ich es für das größere Problem, den Leichnam eines Vampirs zu finden. Es sei denn ..."
Der Mönch sprach nicht gleich weiter, und Julia fragte ihn, woran er dachte.
Er atmete tief durch, ehe er es ihr verriet. "Ich könnte die Montagues bitten, mir Tybalts Leiche zur Verfügung zu stellen."
Einen Moment lang fürchtete Julia, ohnmächtig zu werden, aber sie kämpfte dagegen an. Von dem Gedanken, Tybalts Blut zu trinken, wurde ihr ganz übel, und sie bekam Schuldgefühle. Dennoch schien es die einzige Möglichkeit zu sein, ihr drohendes Schicksal abzuwenden und dem Zusammenleben mit Romeo eine echte Chance zu geben. Vielleicht wäre Tybalt dann ja nicht umsonst gestorben.
"Lassen Sie es uns versuchen, Bruder Lorenzo", sagte Julia und hielt sich den Magen vor Hunger. "Und zwar so schnell wie möglich. Glauben Sie mir, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche, als ein ganz normales Leben zu führen, genau wie jeder andere Mensch. Und das heißt für mich: ein Leben mit Romeo."
"Ich wünsche es dir von Herzen, Julia, aber zuerst müssen wir die Zeit anhalten." Der Mönch ging zu einem Schreibtisch hinüber. "Ich brauche mindestens einen Tag, um die Salze und den Leichnam zu beschaffen. Außerdem müssen wir deine fortschreitende Verwandlung aufhalten, damit du Mitternacht überlebst, ohne töten zu müssen."
Der Mönch griff in eine Tasche seiner Kutte, holte einen alten Schlüssel heraus und hielt ihn gegen das Licht, ehe er ihn ins Schloss einer Schreibtischschublade steckte. Mit einem metallenen Klicken sprang die Lade auf.
"Der Hass zwischen den Capulets und den Montagues wird niemals nachlassen. Sie würden alles tun, um dich und Romeo auseinanderzubringen. Nur wenn wir sie glauben machen, dass du nicht mehr am Leben bist, werden sie darauf verzichten, euch nachzustellen und sich einzumischen."
Beklommen sah Julia, wie der Mönch ein bleiernes Kästchen aus der Schublade holte und auf den Tisch stellte. Dann öffnete er es vorsichtig und nahm einen kleinen Glasflakon heraus, in dem sich eine blaue Flüssigkeit befand.
"Dieses Elixier versetzt dich für vierundzwanzig Stunden in einen todesähnlichen Schlaf und reduziert deine Körperfunktionen auf ein Minimum. Du wirst hören und sehen können, aber du kannst dich weder bewegen noch sprechen. Wer dich sieht, wird dich für tot halten - wirklich tot, nicht untot", erklärte der Mönch. "Wenn die Wirkung nachlässt, wird deine Trauerfeier vorbei sein, und du befindest dich in der Familiengruft."
"Und dann?", fragte Julia verwirrt. "Wie erfährt Romeo, was wirklich passiert ist?"
"Ich weiß, wo
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