Dein Blut auf meinen Lippen
Paris dagegen ist vielleicht nicht perfekt, aber er kann gut für dich sorgen und deinen Eltern helfen, ihre gesellschaftliche Position zu erhalten. Bitte, mein Kind, überlege es dir nochmal! Nimm ihn zum Mann! Erspare dir weitere Qualen und wähle den Weg, der deine Zukunft absichert – nicht den, der dir Glück verheißt, denn dieses Glück wäre nur von kurzer Dauer."
"Meinst du das wirklich ernst?", fragte Julia und schluchzte auf.
Die Amme nickte. "Ich meine es nur gut mit dir, mein Kind. So wahr ein Herz in meiner Brust schlägt."
Julia schaute der Amme forschend ins Gesicht und begriff, dass sie von dieser Frau keinen Rat und Trost mehr erwarten konnte. Gewiss meinte sie es nach wie vor gut mit Julia, aber letzten Endes stand sie auf der Seite von Graf und Gräfin Capulet, und daran konnte nichts und niemand etwas ändern. Das bedeutete, dass es nur noch einen gab, dem Julia vertrauen konnte. Mit ihm musste sie jetzt sprechen und ihn fragen, ob er ihr helfen würde. Falls er ablehnte, bliebe ihr nichts anderes übrig, als ihr Schicksal allein in die Hand zu nehmen.
"Nun gut, Amme, du hast mich überzeugt", sagte sie so freundlich, dass die Amme erstaunt aufblickte.
"Was?", fragte sie völlig verblüfft.
"Dein Rat hat mir so oft weitergeholfen", erklärte Julia, während sie auf den Metallkasten blickte. "Ich gehe jetzt in den Wald, um auf andere Gedanken zu kommen. Vielleicht jage ich sogar etwas, um mich abzureagieren. Gehst du so lange in die Stadt und holst die schönsten Hochzeitskleider, die du findest? Dann kann ich mir später eins aussuchen."
"Ja, gern." Die Amme strahlte übers ganze Gesicht.
"Aber behalte es vorerst für dich", bat Julia. "Ich möchte meine Mutter damit überraschen. Sie wird sich freuen, dass ich meine Meinung geändert habe."
Sobald die Amme die Kammer verlassen hatte, öffnete Julia den Metallkasten, betrachtete die Mordwerkzeuge und fuhr mit dem Daumen über die Klinge eines Dolches. Sie konnte nur hoffen, dass sie mutig genug sein würde, ihn gegen sich selbst zu richten, falls ihr letzter Versuch scheitern sollte.
Eine Weile später stand Julia wieder vor der Klostertür. Vor Schmerzen konnte sie sich kaum noch aufrecht halten. Auch bei ihrer Hochzeit war sie nervös gewesen und hatte Angst und Schmerzen gehabt, aber jetzt ging es ihr ungleich schlechter. Mit einer Hand hielt sie sich den Bauch, mit der anderen klopfte sie an die Tür. Kurz darauf wurde geöffnet, und sie sah in die freundlichen Augen von Bruder Lorenzo.
Er erkannte Julia sogleich wieder und bat sie herein. Dann führte er sie in seine Zelle. Mit gesenktem Blick schwebte Julia durch die Gänge.
"Bruder Lorenzo, ich bin völlig verzweifelt. Sie müssen mir helfen", flehte sie ihn an.
"Aber selbstverständlich, mein Kind. Was kann ich für dich tun?" Der Mönch strich ihr mit der Hand über die blasse Wange.
"Das Problem ist, dass ich kein Kind mehr bin", erwiderte Julia und sah den Mönch bekümmert an. "Gestern habe ich Romeo geheiratet, und heute werde ich zum Vampir. Schon in wenigen Stunden wird etwas geschehen, das nicht mehr rückgängig zu machen ist."
"Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht kann ich dir ja wirklich helfen."
Julia schwebte ein Stück von dem Mönch weg, auf ein bleiverglastes Fenster zu, und blickte nach draußen. Da das Glas bunt war, sahen die Bäume dunkelrot und der Himmel gelb aus.
"Wissen Sie, dass die Capulets als Menschen geboren werden und sich an ihrem sechzehnten Geburtstag in Vampire verwandeln?", fragte sie.
"Aber ja. Das ist in Transsilvanien allgemein bekannt", antwortete der Mönch.
"Was aber außerhalb der Vampirgesellschaft nicht bekannt sein dürfte, ist das Verwandlungsritual, das wir an unserem sechzehnten Geburtstag um Mitternacht vollführen müssen", fuhr Julia fort.
"Das stimmt. Davon habe ich noch nie etwas gehört", sagte der Mönch.
"Was ich Ihnen jetzt anvertraue, muss unter uns bleiben", erklärte Julia. "Versprechen Sie mir, dass Sie es keinem Menschen verraten werden?"
"Versprochen."
Julia malte mit ihren spitzen Fingernägeln Romeos Namen an die Fensterscheibe, während sie sprach. "Um unsterblich und ein vollwertiger Vampir zu werden, müssen wir das Schloss ganz allein verlassen und einen Menschen fangen." Sie war so erregt, dass sie eine Hand auf ihr rasendes Herz legte.
"Und dann?", erkundigte sich der Mönch.
"Dann müssen wir ihn töten und ihn komplett aussaugen."
Der Mönch zeigte sich nicht besonders
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