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Dein Blut auf meinen Lippen

Dein Blut auf meinen Lippen

Titel: Dein Blut auf meinen Lippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gabe
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Kammer aufsuchen. Jetzt geh! Die Amme erwartet dich bereits in deiner Kammer."
    "Danke", sagte Julia und verabschiedete sich mit einem ehrerbietigen Knicks.
    "Viel Glück", wünschte ihr die Gräfin und wandte sich wieder den Hochzeitsvorbereitungen zu.
    Julia nickte und lächelte, dann schwebte sie durch die Korridore auf ihre Kammer zu. Als sie die Tür öffnete, legte die Amme gerade zwei Hochzeitskleider auf dem Bett zurecht. Eins war schulterfrei und aus weißer Seide, mit Trompetenärmeln und schimmernden Goldstickereien am Ausschnitt, das andere aus elfenbeinfarbenem Satin mit einer Taille aus Seidenbrokat und einen weit schwingenden Rock. Keins von beiden erinnerte auch nur im Entferntesten an das einfache Hauskleid, das sie bei ihrer Hochzeit mit Romeo getragen hatte, aber in Julias Augen war es ungleich schöner gewesen.
    "Willkommen zurück, mein Fräulein", sagte die Amme, ohne von der Arbeit aufzusehen. Die Öllampe auf dem Nachttisch flackerte von ihren schnellen Bewegungen und warf unheimliche Schatten an die Wände.
    "Danke, Amme." Julia blieb an der Tür stehen. Am liebsten wäre sie gleich wieder geflohen, aber sie zwang sich zu bleiben.
    "Ich hoffe, der kleine Ausflug in den Wald hat dir gutgetan." Mit einem prüfenden Blick auf die edlen Kleider trat die Amme von Julias Bett zurück. Dann wandte sie sich dem Mädchen zu, das sie mit aufgezogen hatte und das nun erwachsen geworden war. "Ist alles in Ordnung, mein Kind?"
    Julia schwebte auf sie zu. "Ja, ich denke schon. Ich habe meiner Mutter gerade gesagt, dass ich nicht mehr rebelliere. Heute Nacht werde ich mich verwandeln und morgen Graf Paris heiraten."
    Die Amme breitete die Arme aus und drückte Julia an sich. "Das freut mich sehr für dich."
    Julia war so aufgeregt, dass sie fast zu atmen vergaß. Sie stand zu dem, was sie vorhatte. Aber sie hatte unterschätzt, wie schwer es war, Menschen zu belügen, die ihr nahestanden. Sie fragte sich, ob sie später, wenn alles so gelaufen war, wie Bruder Lorenzo es geplant hatte, mit der Schuld würde leben können. Mitten in diesen Selbstzweifeln kam ihr plötzlich das Gesicht Romeos vor Augen, und sofort wusste sie die Antwort: Ja, sie würde damit leben können.
    Sie befreite sich aus der Umarmung der Amme und trat mit dem Rücken zu ihr ans Fenster. "Bitte lass mich jetzt allein."
    "Aber das Hochzeitskleid?", fragte die Amme.
    Julia schaute über die Schulter zurück und sah die Amme wehmütig an. Sie mochten unterschiedlicher Meinung sein, aber die Gute hatte für ihr Wohlergehen gesorgt, solange sie denken konnte.
    "Ich werde kein Hochzeitskleid brauchen, wenn ich nicht in einer Stunde zum ersten Mal töte. Also bitte, Amme, halte mich nicht länger auf!"
    "Wie du wünschst." Die Amme nahm ihr Nähkästchen vom Tisch und lächelte ermutigend. "Dann wählen wir das Hochzeitskleid morgen aus, wenn du ausgeschlafen hast."
    "Danke."
    Die Amme eilte aus der Kammer und schloss die Tür hinter sich.
    Rasch ergriff Julia einen Stuhl mit hoher Rückenlehne und schob ihn unter den Türknauf, damit man die Tür nicht mehr von außen öffnen konnte. Dann schaute sie auf die Kleider, die die Amme auf der Bettdecke ausgebreitet hatte. Das weiße traf genau ihren Geschmack, und sie vermutete, dass sie sich genau dafür entschieden hätte, wenn sie mit der Amme im Laden gewesen wäre. Sie versuchte sich vorzustellen, was Romeo wohl sagen würde, wenn er sie darin sehen könnte.
    Sie nahm das Kleid vom Bett, hielt es sich an und griff nach dem Handspiegel, der auf ihrem Waschtisch lag. Als sie hineinschaute, konnte sie nichts außer der goldschimmernden Stickerei am Ausschnitt des Kleides sehen, das sich wie das Gewand eines Geistes von der schummrigen Umgebung abhob.
    Julia erschrak so sehr, dass sie den Spiegel fallen ließ. Er zerbrach in tausend Scherben. Sie taumelte zum Bett zurück und presste sich das Kleid an die Brust. Tränen schossen ihr in die roten Augen. Die Vorstellung, nie wieder ihr Gesicht in einem Spiegel sehen zu können, erschütterte sie bis ins Mark. Als sie wieder aufschaute und sah, dass ihr Körper im Lampenlicht keinen Schatten mehr warf, raffte sie beide Kleider zusammen und warf sie mit einem wütenden Aufschrei an die Wand.
    Sie schlug die Hände vors Gesicht und merkte, dass ihre Wangen glühten. Sie musste sich zwingen, ruhig zu werden, und versuchen, ihr Leid zu überwinden und die negative Energie in Entschlossenheit umzuwandeln. Also atmete sie tief durch und dachte daran,

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