Dein Blut auf meinen Lippen
betete, dass Romeo bis dahin an ihrem Grab ausharren würde.
"Julia, ich habe geschworen, dich immer und unter allen Umständen zu lieben", hörte sie Romeo sagen. "Da du nun nicht mehr von dieser Welt bist, werde ich dir in die andere folgen."
Romeo klang so verzweifelt und hoffnungslos, dass Julia von Panik ergriffen wurde. Sie beschwor Gott, ihren Gatten am Leben zu lassen. Könnte sie doch nur Mund und Augen öffnen, dann wäre der ganze Spuk vorbei!
Da spürte sie plötzlich ein leichtes Kribbeln an den Fußsohlen, das langsam über ihre Waden und Knie höher stieg.
"In dieser Welt konnten wir kein Paar sein", sagte Romeo verbittert. "Unsere Familien sehen uns lieber tot als verheiratet. Aber im Himmel können wir sein, was wir wollen. Deswegen schlucke ich jetzt dieses Gift und lege mich zum Sterben zu dir."
Das Kribbeln stieg immer höher und erreichte Julias Hals. Mit aller Macht wünschte sie sich, auf der Stelle aufzuwachen. Romeo musste sehen, dass sie lebte, ehe er seinem Leben ein Ende setzte!
Tatsächlich konnte sie nur Augenblicke später ihre Hände wieder bewegen, gleich darauf ihre Arme. Sie tastete sich an Romeos Kopf heran, der ganz still auf ihrem Bauch lag. In der Hoffnung, dass er es spürte, fuhr sie ihm mit den Fingern durchs Haar. Aber offenbar spürte er nichts. Sie merkte, dass nun auch ihre Beine wieder durchblutet wurden, und konnte sich ein wenig aufrichten.
Alles tat ihr weh, aber der größte Schmerz saß in ihrem Herzen. Er nahm noch zu, als sie die Augen öffnen konnte und sah, dass Romeo völlig leblos dalag. Er hatte eine tiefe Wunde an der Wange, und zu seinen Füßen lag ein leeres Fläschchen. Julia konnte noch nicht wieder sprechen, deswegen rüttelte sie Romeo, so fest sie konnte. Aber er reagierte nicht.
Sie legte ein Ohr an seinen Mund und konnte keinen Atem spüren. Dann legte sie ihm eine Hand auf die Brust, die sich nicht mehr hob und senkte. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass Romeos Schicksal besiegelt war. Sie öffnete den Mund, um zu schreien, aber sie brachte keinen Ton heraus, allenfalls ein heiseres Krächzen. Tränen schossen aus ihren roten Augen und liefen die blassen Wangen hinab. Ihre Schultern bebten, und sie ließ den Kopf hängen. Dann endlich kehrte ihre Stimme zurück.
"Wach auf, Liebster! Wach auf, ich bin doch da!", wimmerte sie über Romeo gebeugt und küsste seinen Nacken. "Wir müssen zu Bruder Lorenzo! Er weiß, wie er mich in einen Menschen rückverwandeln kann."
Mit jeder Sekunde, die verging, ohne dass Romeo sich regte, sank Julias Hoffnung, er würde je wieder zu sich kommen. Ohne ihn würde auch sie den Weg zu Bruder Lorenzo nicht antreten. Wozu sollte sie weiterleben, ob als Mensch oder als Vampir, wenn sie ihr Leben nicht mit ihrem Liebsten teilen konnte?
"Das ist Folter!", stöhnte Julia, als sie Romeo sanft anhob und auf den Boden legte. "Schon allein das Atmen, Sehen und Reden ist Folter!"
Sie fuhr mit den Fingern über Romeos Wunde und über seine Brust. Dann griff sie entschlossen nach dem Giftfläschchen, aus dem er getrunken hatte.
"Es kann Stunden dauern, bis ich verhungert bin. Das halte ich nicht aus", murmelte sie.
Sie setzte das Fläschchen an den Mund, legte den Kopf zurück und klopfte auf den Flaschenboden, um noch ein paar Tropfen herauszubekommen. Aber es war nichts mehr übrig.
"Gott, was habe ich getan, dass du mich so hart bestrafst?", flüsterte sie. Dann schrie sie schluchzend: "Nimm mich zu dir und beende meine Qualen!"
Aber der Himmel schickte ihr kein Zeichen. Und so beugte Julia sich über den Leichnam ihres Gatten und legte ihren Kopf an seine Schulter. Zuerst hörte sie es nicht, denn ihr Weinen und Schluchzen hallte in dem kalten Gewölbe wider. Erst als sie ein wenig stiller wurde, vernahm sie ein schwaches rhythmisches Pochen in seiner Herzgegend.
Es war wie ein Wunder, dass Romeo noch nicht ganz tot war, doch Julia durfte keine Zeit mit Freudenausbrüchen verschwenden. Sie musste ihn retten, und es gab nur einen Weg, wie ihr das gelingen konnte. Sie musste ihn schnellstens in einen Vampir verwandeln. Es tat ihr von Herzen weh, dass sie seine Zustimmung nicht einholen konnte, aber sie hatte keine Wahl.
Sie schloss die Augen und besann sich auf die Kräfte, die sich seit Tagen in ihrem Körper entwickelten und die sie eigentlich niemals anwenden wollte. Sie legte den Kopf in den Nacken und spürte, wie eine heiße Energiequelle in ihr zu sprudeln begann. Dann zog sie Romeos
Weitere Kostenlose Bücher