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Dein Blut auf meinen Lippen

Dein Blut auf meinen Lippen

Titel: Dein Blut auf meinen Lippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Gabe
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Oberkörper zu sich hoch. Sein Kopf hing schlaff herunter, und sein Hals lag genau vor ihrem Mund. Sie zog die Lippen auseinander. Zwei ihrer Eckzähne waren inzwischen zu Fangzähnen geworden. Sie strich eine Haarsträhne von Romeos Hals und starrte auf die violette Vene, die von seinem Ohr zum Schlüsselbein lief. Langsam beugte sie sich vor, saugte sich an seine Haut und schlug ihm die spitzen Zähne in den Hals.
    Mit jedem Tropfen Montague-Blut, den sie schluckte, spürte Julia, wie ihre Verwandlung fortschritt und alles anders wurde. Während Teile ihres Körpers - wie etwa ihr Herz - taub wurden, strömte in andere - wie ihre Knochen und Muskeln - eine unbeschreibliche Energie. Julia fühlte sich so stark, als könne sie jetzt mit Leichtigkeit den höchsten Gipfel der Karpaten erklimmen oder einen Ozean durchschwimmen, und sie betete, dass Romeo sich genauso fühlen würde, wenn das alles hier vorbei war.
    Julia wusste, dass sie irgendwann aufhören musste zu saugen, aber sie kannte nicht den rechten Zeitpunkt dafür. Niemand hatte ihr je gesagt, was genau man tun musste, um einen Menschen in einen Vampir zu verwandeln. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als sich auf ihren Instinkt zu verlassen, der sie jedoch momentan eher dazu drängte, Romeo bis auf den letzten Tropfen auszusaugen. Um bloß nichts falsch zu machen, beobachtete sie, wie die Gesichtsfarbe ihres Gatten immer blasser wurde, und sie berührte seine Haut mit den Fingern, um zu fühlen, wie kalt sie wurde. Trotzdem kostete es sie Überwindung, von ihm abzulassen, als sie das Gefühl hatte, dass es der rechte Moment war.
    "Romeo", murmelte sie. "Romeo." Dann küsste sie zärtlich die beiden rötlichen Flecke, die ihre Fangzähne an seinem Hals hinterlassen hatten. "Komm zurück zu mir! Bitte!"
    Sie schaute auf sein Gesicht und wünschte, er würde die Augen aufschlagen oder die Lippen bewegen. Immer wieder sagte sie beschwörend seinen Namen und drückte ihn an ihre Brust. Doch Romeo kam nicht zu sich, nicht einmal für einen kurzen Moment. Irgendwann musste sie sich eingestehen, dass all ihre Bemühungen umsonst gewesen waren. Romeo war tot, und sie konnte nichts mehr tun, als einen verzweifelten Schrei auszustoßen.
    Regen begann aufs Dach der Familiengruft zu prasseln, und das gleichmäßige Geräusch versetzte Julia
nach und nach in eine Art Trance. Sie dachte und fühlte nichts, während sie Romeo immer noch festhielt. Irgendwann legte sie ihn vorsichtig auf den Boden. Als sie seinen Dolch im Stiefel aufblitzen sah, griff sie danach und schwebte auf eine hölzerne Statue von Vlad, dem Pfähler, zu, der den abgetrennten Kopf eines Montague an den Haaren hielt.
    "Das ist für dich", sagte sie und stach den Dolch in die Brust der Statue. Das Holz splitterte, und Späne fielen zu Boden. Julia kniete nieder und suchte nach dem größten Splitter, den sie finden konnte. Dann zog sie ihn über ihren Handballen und prüfte, ob er stark und spitz genug war, um ihn sich durch die Rippen ins Herz zu stoßen. Zufrieden sah sie, dass ihre Hand zu bluten begann.
    Es tat zwar weh, aber Julias seelischer Schmerz war ungleich stärker. Sie kroch zu Romeos Leichnam zurück, legte sich zu ihm und küsste ihm mit einer Selbstverständlichkeit die Stirn, als wünschte sie ihm im gemeinsamen Ehebett eine gute Nacht. Dann richtete sie die Spitze des Holzsplitters auf ihr Herz, schloss ein letztes Mal die Augen und flüsterte: "Lass mich sterben!"
    Doch ehe sie zustechen konnte, spürte sie eine Hand, die nach ihrem Unterarm tastete. Sofort ließ sie den Holzsplitter los. Als sie die Augen aufschlug, blickte Romeo sie liebevoll und mit rotglühenden Augen an.
    Es verschlug ihr den Atem. Romeo lebte! Julia wollte schon laut losjubeln, als ihr einfiel, dass er nur am Leben bleiben konnte, wenn er etwas von ihrem Blut zu sich nahm. Sie war froh, dass sie gerade noch rechtzeitig daran dachte, denn sonst hätte sie den Geliebten für immer verloren. Sie hob ihre blutige Hand an seinen Mund und sagte: "Trink, Liebster, schnell!"
    Romeo nickte und saugte Julias Blut ein. Sofort zog sich die Wunde auf seiner Wange zusammen und verschwand schließlich ganz, während sein Gesicht ebenmäßig weiß wurde.
    Julia konnte kaum fassen, dass sie ihn im letzten Moment vor dem Tod bewahrt hatte. Erleichtert lachte sie auf und warf sich an seine Brust. Er schloss sie in seine Arme und streichelte ihr mit zitternden Händen über den Rücken.
    "Ich dachte, ich hätte dich verloren.

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