Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
Zeit, die die Kinder einhüllt und fortreißt und jetzt eine ganz andere ist als meine, ausgeschlossen aus ihrer, die jetzt voranschreitet, ohne mich einzubeziehen, ohne mich Teilnehmer oder auch nur Zeuge sein zu lassen, während ich nicht so genau weiß, was ich mit meiner tun soll, die ebenfalls voranschreitet, ohne mich einzubeziehen oder in die ich noch nicht einzutreten imstande war (vielleicht werde ich niemals mehr Schritt halten) und in der trotz allem dieses parallele oder theoretische Leben in England abläuft, das nicht besonders zählen wird, wenn es zu Ende ist und sich schließt wie eine Klammer, und zu dem man dann ebenfalls sagen können wird: »Du schreitest nicht mehr voran. Du hast dich in ein eingefrorenes Bild oder in eingefrorene Erinnerung oder in einen abgeschlossenen Traum verwandelt, und ich kann dich nicht einmal mehr sehen aus der widrigen Entfernung. Du bist nicht mehr, also bist du nie gewesen.«
Luisa antwortete mir nicht sofort, sie schwieg, so als sähe sie meine zweite Frage als das, was sie nur in sehr geringem Grade war (ein Ablenkungsmanöver, ein Trick, um eine Antwort auf ihre ernste Frage zu vermeiden), oder als schiene sie ihr genausowenig zu mir zu passen wie die erste und trüge daher zu ihrer Perplexheit oder ihrem Mißtrauen bei.
»Bottox? Ja.« Sie wiederholte das Wort nach einigen Sekunden. »Aber womit beschäftigst du dich eigentlich, Jaime? Unterwäsche, Menstruationen, jetzt das. Du wirst doch wohl keine Geschlechtsumwandlung machen, hoffe ich. Ich weiß nicht, wie die Kinder das aufnehmen würden, aber ich glaube, es würde ihnen angst machen. Mir in jedem Fall, natürlich.«
»Sehr witzig«, sagte ich, und ein wenig witzig hatte ich es durchaus gefunden, oder vielleicht freute ich mich, daß sie ihren Humor wiedergefunden hatte, wenn Luisa Scherze machte, dann hieß das, daß sie freundschaftliche Gefühle hegte, und außerdem waren ihre nicht aggressiv, allenfalls lästernd wie dieser, und sie äußerte sie immer freundlich oder mit erkennbarer Zuneigung, heiter und ohne auf Schaden aus zu sein. Ihr eigener idiotischer Einfall hatte sie amüsiert, denn ich hörte sie erneut lachen, und sie konnte nicht der Versuchung widerstehen, den Spott noch ein wenig weiter zu treiben.
»Wie müßten wir dich nennen, stell dir das mal vor. Das wäre alles ein bißchen konfus. Überleg es dir gut, bitte, Jaime, bevor du den Schritt tust; unwiderruflich, nehme ich an. Denk an die Nachteile und an die peinlichen Situationen. Denk an diesen Schatzmeister eines College, von dem Wheeler uns einmal erzählt hat. Er war sehr förmlich, und seine Kollegen wußten auf einmal nicht, ob sie ihn mit ›Herr‹ oder ›Frau‹ ansprechen sollten, und diejenigen, die vertrauter mit ihm waren, redeten monatelang eine Matrone im Rock mit Arthur an, sie sahen das unverändert gleiche Gesicht von Arthur, nur mit geschminkten Lippen anstelle des Schnurrbarts und umrahmt von einer kurzen, unordentlichen Haarmähne, er pflegte sie kaum allem Anschein nach, es hieß, er sei es nicht gewohnt.« Während ich hörte, wie sie sich an die Erzählung erinnerte, ging mir wieder einmal das Bild von Rosa Klebb durch den Kopf, der unsauberen, faulen und » erschreckenden Frau von SMERSH«, Jüngerin des unerbittlichen Beria und von diesem in die POUM eingeschleust als rechte Hand und Geliebte von Nin, dessen Mörderin sie auch sein konnte, all das Fleming zufolge; oder es war eher das von Lotte Lenya in ihrer Interpretation der Rolle: wie sie versuchte, Connery mit vergifteten Dornen zu treten, wer weiß, ob es nicht das gleiche Gift war. Oder nein, es müßte ein anderes, rascheres sein, wenn sie darauf aus war, ihn mit ihren todbringenden Schuhen, mit Fußtritten umzubringen. »Allerdings dürfte es nicht einfach sein, deine Gesichtszüge weicher zu machen, auch wenn du noch so mit Hormonen vollgepumpt bist, nicht?, und operiert. Ich weiß nicht, deine Sache, aber du hast außerdem einen athletischen Körperbau und ziemlich dichten Bartwuchs, du wärst eine imposante, furchteinflößende Frau, auf dem Markt würde sich keine einzige an dir vorbeidrängeln.« Und sie lachte erneut, jetzt aus vollem Halse.
Ich mußte mir auf die Lippe beißen, um nicht einzufallen, obwohl mir ein wenig grauste bei meiner Beschreibung als Frau; trotzdem entfuhr mir ein verräterischer Laut.
»Ja, ich erinnere mich an den bursar Vesey«, brachte ich hervor, als ich mich ganz in der Gewalt hatte. »Ich kannte ihn nur vom
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