Dein ist das Leid (German Edition)
Situation löste eine ganze Flut ungefilterter Gefühle in ihr aus. Wie grausam ironisch das Leben doch sein konnte. Als Leiterin der Operationsabteilung war sie die höchstrangige Frau in der ganzen Behörde. In ihrem ganzen Leben hatte sie alle Erwartungen übertroffen. In der Schule. In der Ausbildung. Während ihres schnellen Aufstiegs zu immer machtvolleren Positionen. Im Alter von sechsundvierzig Jahren hatte sie immer nur Erfolg gehabt.
Außer bei dieser einen Sache, die wirklich zu ihrem Vermächtnis hätte werden können.
Trotz aller Beratung durch die bedeutendsten Experten auf der ganzen Welt und der Hunderttausende von Dollar, die sie ihnen bezahlt hatte, hatte sie versagt.
Und das konnte sie niemandem anders vorwerfen als sich selbst. Sie hatte zu lange gewartet. Ihre Karriere war ihr zu wichtig gewesen. Sie war die Erfolgsleiter hinaufgestiegen und hatte gedacht, dazu wäre später noch Zeit. Aber als die Zeit dann kam, hatte Mutter Natur andere Pläne. Ihr Körper weigerte sich mitzuspielen.
Tränen. Immer wieder neue Versuche. Injektionen. In vitro. Nichts wollte klappen.
Als sie das Unausweichliche endlich zu akzeptieren bereit war, kam nicht einmal mehr eine Adoption infrage. Ihr Alter, ihre immer größer werdende berufliche Verantwortung und vor allem ihre aufgebrauchten emotionalen Reserven – das alles zusammengenommen schloss eine Adoption aus.
Ein Baby war etwas Wundervolles. Aber sie sollte dieses Wunder nie erleben.
Also war es schon richtig, dass ihre persönlichen Lebensumstände ihre Haltung beeinflussten. Aber sie hatte bei dem gegenwärtigen Dilemma das Für und Wider lange und gründlich abgewogen, sich zur Objektivität gezwungen, die Dinge aus allen Blickwinkeln betrachtet. Sie hatte das letzte Wort. Und zuallererst war sie der Behörde verpflichtet.
Aber zu welchem Preis?
Die Stunden vergingen langsam und qualvoll. Patricia trank ihrenKaffee und durchforstete ihre Seele. Es war ihre Entscheidung. Sie musste die Folgen tragen.
Ihre übermüdete Assistentin Sharon klopfte und steckte den Kopf durch die Tür. „Es ist acht Uhr, Ma’am. Die Leute aus New York sind angekommen. Sie sind die Nacht durchgefahren, um rechtzeitig hier zu sein. Alle sind jetzt im Konferenzraum versammelt, wie Sie angeordnet haben. Gibt es noch etwas?“
„Ja“, erwiderte Patricia. „Vor der Besprechung muss ich noch mit Richard sprechen. Bitte schicken Sie ihn sofort in mein Büro.“
„Natürlich.“
Ein paar Minuten später betrat Richard Fieldstone, stellvertretender Direktor des Criminal Investigative Unit und Vorsitzender des Criminal Undercover Operation Review Committee , des Prüfungsausschusses, der Undercover-Operationen überwachte, das Büro seiner Vorgesetzten. „Sie wollten mich sehen, Pat?“
„Ja.“ Sie winkte ihn herein. „Machen Sie die Tür zu, und setzen Sie sich.“
Sie faltete die Hände auf dem Tisch. „Ich muss gleich zu einer wichtigen Besprechung, deren Ergebnis am Ende dem Prüfungsausschuss in den Schoß fallen wird. Lassen Sie mich Ihnen erläutern, in was für einer schwierigen Situation wir uns befinden. Anschließend werde ich darlegen, wie ich vorgehen möchte und was ich von Ihnen und dem Ausschuss erwarte.“
Richard hob die Brauen. Der Prüfungsausschuss bestand aus Repräsentanten der Behörde und des Justizministeriums. Er trat alle zwei Monate zusammen und kam unabhängig zu seinen Empfehlungen. Dass die Leiterin der Operationsabteilung in den Entscheidungsprozess eingriff, war noch nie vorgekommen – obwohl es in ihrer Macht lag.
„Fahren Sie fort“, sagte er.
Patricia erzählte ihm die ganze Geschichte, ohne die kleinste Einzelheit auszulassen. Er sollte alles wissen, was bei einer Krisensitzung des Ausschusses zutage gefördert werden konnte.
Richard hörte zu, ohne zu unterbrechen. Als sie fertig war, fragte er: „Das möchte ich ganz genau wissen – wollen Sie damit sagen, wenn der Prüfungsausschuss zu dem Schluss kommen sollte, die Interessen des FBI seien höher zu bewerten als die eines einzelnen Individuums, werden Sie sich über diese Entscheidung hinwegsetzen?“
„Exakt das will ich sagen.“ Patricia sprach ganz ruhig, doch mit abschließender Bestimmtheit. „Ich weise Sie an, die Krisensitzung noch heute abzuhalten, und übertrage Ihnen die Verantwortung, ein Ergebnis herbeizuführen, das einen Konflikt vermeidet. So bleibt es eine Entscheidung des Ausschusses, und niemand wird im Regen stehen. Sie brauchen sich
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