Dein ist die Rache
hatte McAvoy angegriffen, während der versuchte, Melissa zu bändigen. McAvoy hatte ihn einfach abgeschüttelt. Er flog so weit durch die Luft, dass er sich einen Bänderriss im Knöchel zuzog. McAvoy ist noch nicht dazu gekommen, um sich über mögliche dienstrechtliche Konsequenzen Gedanken oder sich selbst Vorwürfe zu machen, weil er Melissa den Kopf allzu gern gegen die Motorhaube geschmettert hätte, während sie sich losreißen wollte und er nach dem Funkgerät tastete.
»Sie sind nicht das, was ich erwartet hatte«, sagt er schließlich.
Suzie sieht zu ihm hoch, und in ihren Augen flackert Wärme auf. »Hatten Sie gedacht, ich laufe im Korsett und mit Fuck-Me-Pumps herum?«
»Tja, Pech gehabt«, sagt er und wischt ihr, ohne nachzudenken, das getrocknete Blut vom Kinn.
»Danke«, sagt sie, und dann, impulsiv, verzweifelt, nimmt sie seine Hand in ihre beiden. Sie legt sie sich an die Wange. Schließt die Augen. Gönnt sich sekundenlang ein Gefühl der Sicherheit. Des Trostes. Lässt mit seiner Berührung Zuversicht und Vertrauen in sich einströmen.
»Simon Appleyard«, sagt McAvoy, während er langsam seine Hand wegzieht. »Ihr Freund. Er wurde ermordet.«
Suzie nickt.
»Sie wussten es?«, fragt er.
»Ich glaube, ich habe es immer gewusst.« Sie scheint darüber nachzudenken. Zittert und kriecht ein wenig tiefer in den Wagen hinein. »Vielleicht auch nicht.«
»Aber jetzt sind Sie überzeugt.«
Sie zieht den Schal herunter. Zeigt ihm die Würgemale. »Ich bin die Nächste«, sagt sie.
McAvoy kauert sich hin. Untersucht die Male. Als er sie wieder ansieht, ist sein Gesicht nur Zentimeter entfernt. Ihr Spiegelbild schwimmt in seinen Augen, und das Mädchen, das sie in der Reflexion ansieht, ist bezaubernd hübsch.
»Gestern Nacht«, sagt sie. »Party. Jemand versuchte, mich zu erdrosseln. Hat einen jungen Mann schwer verletzt.«
McAvoys Ausdruck verändert sich. Er fängt an, in den Taschen nach einem Stück Papier zu kramen. Stift. »Ich brauche Details.«
Sie zuckt abwehrend die Achseln. »Ich bin müde«, sagt sie, und sie hat nie etwas Wahreres gesagt.
McAvoy scheint zu begreifen, dass der richtige Zeitpunkt, ein paar vorschriftsmäßige Prozeduren in die Vernehmung einfließen zu lassen, schon lange vorbei ist. Der Gedanke enerviert ihn. Er kommt sich wie einer dieser draufgängerischen Außenseiter vor, ein Privatdetektiv, der sich zur Polizei verirrt hat und herzlich wenig mit dem Mann zu tun hat, für den er sich hält.
»Ich fahre Sie ins Krankenhaus. Wir können unterwegs reden.«
»Nein, noch nicht. Lassen Sie mich noch ein bisschen die frische Luft genießen.«
McAvoy verengt die Augen. Versucht, dieses Mädchen zu begreifen. Ihr Widerstreben dagegen zu verstehen, sich ins Krankenhaus bringen zu lassen. Mit den uniformierten Beamten zu sprechen. Von seiner Seite zu weichen. Plötzlich begreift er, was in ihr vorgeht. »Suzie, niemand wird Sie verhaften. Sie müssen nicht ins Gefängnis.«
»Ich habe ein Vorstrafenregister. Simon und ich, wir beide. Wegen so einer blöden Idee. Wir hatten sie aus einem Film, in dem ein Mädchen einen Mann gegen seinen Willen tätowierte, der ihr übel mitgespielt hatte. Wir beschlossen, es genauso zu machen. Mit meinem Ex, meine ich. Behandelte mich wie Dreck, schrieb mir aber SMS und dachte, ich würde sofort wieder angerannt kommen, um Sex mit ihm zu haben. Ich weiß nicht mehr, wer die Idee hatte, ihn dazu zu überreden, sich fesseln zu lassen. Aber es gefiel ihm. Und als er dann unter mir war, ich weiß nicht. Ich hatte ein Messer. Er heulte. Kreischte. Mir wurde schlecht. Habe ihm ein paar Kratzer verpasst und bin dann weggelaufen. Ich hatte Angst, ihn loszubinden. Ich holte Simon. Er kam mit mir zurück, und wir befreiten meinen Ex. Er ging auf Simon los, und der wehrte sich. Wir hauten ab. Es war ein fürchterlicher Schlamassel. Überhaupt nicht, wie wir es geplant hatten.«
»Er hat die Polizei gerufen?«
Sie nickte. »Sie haben seine Partei ergriffen.«
McAvoy mustert dieses leicht rundliche, bizarr gekleidete Mädchen und hat Schwierigkeiten, die Punkte der Anklage mit dem Menschen in Einklang zu bringen, den er sieht.
»Er muss Ihnen sehr weh getan haben«, sagt er schließlich. »Ihr Ex. Dass Sie sich auf so etwas eingelassen haben. All … das.«
»Ich musste mehr sein, als ich war. Mehr als dieses ängstliche, unterdrückte kleine Mädchen.«
»Dazu gibt es andere Mittel. Ihnen ist doch klar, dass Sie und Simon immer noch im
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