Dein ist mein ganzes Herz
hatte lange gedauert, doch jetzt war es ihr endgültig klar: Lord Hazelmere, der heiraten mußte, hatte sich für sie entschieden, weil sie ein naives Mädchen vom Lande war, das eine fügsame Ehefrau abgeben würde. Sie sollte ihm Erben schenken und seinem Haushalt vorstehen, während er weiterhin zweifelhaften Vergnügungen nachging, wie sie Lady Walford und ihresgleichen boten.
Zum erstenmal, seit sie in London war, sehnte sie sich nach Grange zurück, wo das Leben so viel einfacher verlief. Wo man es nicht mit hochmütigen Peers zu tun hatte, die einen aus Egoismus in sich verliebt machten. Der Tag dämmerte schon fast herauf, als sie endlich in einen unruhigen Schlaf fiel.
Lord Hazelmere saß, ein Glas mit Cognac in der Hand, in der Bibliothek und starrte in das ersterbende Feuer.Als er sich entschlossen hatte, Dorothea erst später in der Saison um ihre Hand zu bitten, hatte er mit einem derartigen Wirrwarr ihrer Beziehungen nicht gerechnet. Trotzdem bedauerte er seine Handlungsweise nicht. Wenn er ihr die Wahl eines Ehemannes überlassen hätte, hätte sie vermutlich einen Schwächling genommen, der zu weich war, um auch nur ein wenig Kontrolle auf sie auszuüben. Dorothea brauchte jemand, der sie im Zaum hielt, über sie wachte und sie beschützte. Ihm schauderte bei dem Gedanken, was geschehen wäre, wenn er nicht zum richtigen Zeitpunkt die Hand über sie gehalten hätte. Meistens hatte sie nicht einmal gemerkt, daß sie in Gefahr schwebte- zum Beispiel in seiner Gegenwart. Darüber wunderte er sich nach wie vor.Sie hatte Peterborough und Markham als gefährlich eingeschätzt, aber niemals zu erkennen gegeben, daß sie sich von ihm bedroht fühlte.
Mit einem Seufzer wandte er sich dringlicheren Problemen zu, den unerklärlichen Zwischenfallen, die ihn stark beunruhigten. Er streifte mit einem Blick seinen Schreibtisch, auf dem die beiden Briefe lagen.Jemand erlaubte sich ein böses Spiel, und er wußte nicht, wer das war.
Er mußte handeln und sah dazu nur eine Möglichkeit. Der Verwalter seines Gutes in Leicestershire hatte um seinen Besuch gebeten. Auf dem Weg dorthin kam er in der Nähe von Darent Hall vorbei. Unter den gegebenen Umständen hielt er es für das beste, Dorothea so schnell wie möglich zu heiraten. Es war schwierig, die Marchioness of Hazelmere zu entführen, und er gedachte dafür zu sorgen, daß es unmöglich war. Nachdem er den letzten Schluck Cognac getrunken hatte, ging er schlafen.
Am nächsten Morgen blieb Lady Merion, die die stickige Luft in Carlton House nicht vertragen hatte, im Bett. Als Dorothea kam, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, und sie die dunklen Schatten unter den Augen ihrer Enkelin bemerkte, schickte sie sie ebenfalls ins Bett zurück. Dorothea gehorchte, weil sie bei einem Ausritt im Park unweigerlich dem Marquess begegnen würde und sich einer Aussprache nicht gewachsen fiihlte.
Am Nachmittag holte sie dann den Ausritt nach. Ferdie spürte, daß sie nicht wie sonst war. Um sie abzulenken schwatzte er über den Ball in Carlton House, die Clique des Prinzregenten und alles, was ihm sonst noch in den Sinn kam.
Sie ritten den Grasstreifen neben dem Fahrweg entlang, als sie seine Beschreibung von Lady Hoovers neuer Perücke abrupt unterbrach. "Mir ist nach einem schnellen Galopp zumute. Wenn ich mich nicht irre, wachsen dort drüben unter den Bäumen Freesien." Sie preschte mit ihrem Pferd in Richtung auf eine Gruppe von Eichen. Ferdie war so überrascht, daß er ihr nicht sofort folgte. Im Umdrehen erhaschte er einen Blick auf den Curricle des Marquess, in dem er mit Lady Walford saß und seine Grauschimmel lenkte. Dem entsetzten Ferdie dämmerte es, daß Dorothea seinen Cousin mitten im Park ganz bewußt geschnitten hatte.
"Was ist Ihnen eigentlich eingefallen?" fuhr er Dorothea an, nachdem er sie eingeholt hatte. "Das war Hazelmere."
"Ich weiß", bestätigte sie zerknirsch, weil ihr klar wurde, daß er ernstlich böse war. ·
"Man schneidet einen Mann wie Hazelmere nicht vor allen Leuten."
"Ja, Ferdie, bitte bringen Sie mich nach Hause."
"Das halte ich auch für das beste", pflichtete er ihr bei.
Auf dem Heimweg versuchte Ferdie, ihr das Ausmaß ihrer Sünde begreiflich zu machen. Er hoffte, sie dazu bewegen zu können, bei der unvermeidlichen Auseinandersetzung mit seinem Cousin so etwas wie Schuldbewußtsein und Reue zu zeigen. Ferdie wußte besser als jeder andere, daß die sprichwörtliche Gelassenheit Lord Hazelmeres eine Maske
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