Dein ist mein ganzes Herz
sie zu schnellem Tempo an. Auch als gegen Abend dunkle Schatten über die Straße fielen und die Schlaglöcher verdeckten, preschten die Pferde weiter.
Der Reitknecht Jim schwieg, mehr aus Furcht, seinen Herrn abzulenken als aus Zurückhaltung. Erst als sie in einer engen Kurve die Postkutsche nach St. Albans überholten, stieß Jim vor Schreck einen Fluch aus. .,Das ist die schnellste Art, wenn Sie wünschen, daß wir uns beide den Hals brechen", meinte er.
Nach kurzem Schweigen lachte der Marquess. .,Es tut mir leid, Jim", erwiderte er und verlangsamte das Tempo des Curricle.
Am späten Nachmittag erreichten sie Lauleigh, Hazelmeres Gut in Leicestershire. Sein Verwalter, ein strenger Mann namens Walton, hatte nicht umsonst seine Anwesenheit erbeten. Es hatte sich ein ganzer Berg Arbeit angesammelt. Sie fingen gleich damit an, die Bücher zu prüfen. Walton stellte sicher, daß alles erledigt wurde, wozu er die Vollmacht des Gutsherren brauchte. Er gab sich nicht der Illusion hin, ihn während der Saison noch einmal zu sehen.
Am Samstagnachmittag informierte der Marquess Jim, daß sie am nächsten Morgen weiterfahren würden und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück. Er schenkte sich einen Brandy ein und setzte sich in einen bequemen Sessel vor den Kamin. Sein letztes Zusammentreffen mit Dorothea stand ihm noch deutlich vor Augen. Er war wütend gewesen, zugegebenermaßen mehr aus verletztem Stolz als aus berechtigter Empörung. Mit Ausnahme seiner Mutter konnte er sich keine andere Frau vorstellen, die gewagt hätte, über eine Geliebte zu reden.
Da seine freundschaftlichen Beziehungen zu Helen Walford allgemein bekannt waren, war ihm nicht in den Sinn gekommen, jemand könnte Dorothea eine andere Version erzählen. Er erinnerte sich vage an Schwierigkeiten, die er früher einmal mit dem Comte de Vanee gehabt hatte. Es war um ein Mädchen gegangen, das er seinerzeit unter seine Fittiche genommen hatte. Wie hatte sie doch noch geheißen? Madelin? Miriam?. Die Lügen des Franzosen hatten Dorothea fast zur Verzweiflung getrieben. Kein Wunder, daß sie auf seinen und Helens Anblick so heftig reagiert hatte. In Zukunft mußte er dafür sorgen, daß derartige Mißverständnisse vermieden wurden.
Der Marquess erreichte Darent Hall, das nur wenig abseits seiner Reiseroute lag, gegen zehn Uhr. Er warf Jim die Zügel zu und befahl ihm, die Pferde zu bewegen.
"Ich bin Marquess of Hazelmere und möchte mit Lord Darent sprechen", sagte er zu dem Butler, der ihm die Tür öffnete.
Der Butler führte ihn in die Bibliothek und meldete seinem Herrn, der noch beim Frühstück saß, den unerwartenden Besucher. Lord Darents Mund stand vor Erstaunen halb offen. "Ich komme sofort", erwiderte er, nachdem er sich wieder gefaßt hatte.
Er konnte sich denken, was den Marquess hergeführt hatte. Seine Frau hatte zwar behauptet, daß Lord Hazelmere keine ernsten Absichten hege, und außerdem kein geeigneter Bewerber für sein Mündel wäre. Doch unter diesen Umständen erschien es ihm unmöglich, sich nach dem Urteil seiner Frau zu richten. Voller Unbehagen suchte er die gemütliche holzgetäfelte Bibliothek auf, in der sein Besucher mehr zu Hause zu sein schien als der eigentliche Eigentümer.
Nachdem der Marquess ihm sein Anliegen vorgetragen hatte, mußte Lord Darent einräumen, daß er Edward Buchanan gestattet hatte, Dorothea einen Antrag zu machen.
Als dieser Name fiel, trat in Lord Hazelmeres Augen ein unangenehmer Ausdruck. "Haben Sie Buchanan tatsächlich als Ehemann für Ihr Mündel in Erwägung gezogen?"
Lord Darents Nervosität wuchs. .,Warum nicht? Ihm gehört ein Gut in Dorset, und er ist ein guter Bekannter Sir Hugo· Cleres."
"Und Sir Hugo hat ihn zweifellos auch darauf aufmerksam gemacht, daß Miss Darent Grange geerbt hat. Zu Ihrer Information: Edward Buchanan besitzt in Dorset ein heruntergekommendes Farmhaus und sonst keinen Penny. Er hat seinen Aufenthaltsort nach London verlegt, weil ihm nach einem gescheiterten Versuch, mit einer örtlichen Erbin durchzubrennen, in Dorset der Boden zu heiß geworden ist. Es überrascht mich, Mylord, daß Sie Ihre Pflichten als Vormund derart vernachlässigen."
Lord Darent, der blutrot geworden war, schwieg.
"Da Sie über meine Familie, meine gesellschaftliche Stellung und mein Vermögen orientiert sein dürften, nehme ich an, daß Sie mir die Hand Miss Darents nicht verweigern."
"Selbstverständlich nicht", beeilte sich Lord Darent zu versichern. "Was ist, wenn Dorothea
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