Dein Kuss verraet mir alles
aneinander. Die Sonne brannte heiß, und nur ein Hauch von Luft bewegte sich. Beide waren so ineinander versunken, dass sie nicht merkten, wie ein Mann auf sie zurannte. Tess spürte Cags harte Rückenmuskulatur, als sie mit den Händen darüber strich, fühlte Cags Atem an ihrem Ohr, in ihrem Haar. Seine Wange streifte ihre Wange, und er schloss seine Arme noch enger um Tess. Und diesmal geschah es nicht, um sie zu trösten. Ein tiefes, sehnsüchtiges Verlangen erfüllte Cag, das Tess sofort mit Hingabe erwiderte.
Fast schmerzlich langsam fuhr er mit den Lippen über ihre Wange hinunter zu ihrem bereits geöffneten weichen Mund. Sie stöhnte leise auf bei dem köstlichen Empfinden, das sie durchströmte. Sie wünschte, dass Cag sie küsste, so wie er sie an jenem Frühlingstag beim Fluss geküsst hatte. Sie wollte ihn wieder küssen, bis ihr Körper aufhörte, vor ungestillter Sehnsucht zu schmerzen.
Cag zögerte. Eine Hand lag auf ihrer Brust, als er mit den Lippen ihren Mund suchte, ihn zärtlich liebkoste, um ihn dann mit einem harten Kuss zu verschließen.
Eine kaum wahrnehmbare Bewegung in der Entfernung brachte Cag abrupt in die Wirklichkeit zurück. Er hob den Kopf und bemerkte Leo, der mit Riesenschritten auf sie zugerannt kam. Cag zitterte vor Verlangen, sehnte sich danach, Tess zu liebkosen, sie zu küssen. Aber er zwang sich, tief durchzuatmen.
All die heißen Gefühle schwanden langsam dahin, und er starrte seinem jüngeren Bruder sekundenlang entgegen, als ob er ihn nicht erkannte.
“Was war es? Eine Klapperschlange?”, fragte Leo außer Atem, als er sie erreicht hatte.
Cag wies mit dem Kinn auf die Schlange. Sie lag da mit abgetrenntem Kopf und einem sich wie verrückt windenden Körper. Zwischen den zwei Körperteilen blitzte das Jagdmesser in der Sonne, das Cag immer mit sich trug, wenn er allein im Feld arbeitete.
“Wow!”, Leo pfiff bewundernd durch die Zähne. “Ganz schön exakt, wenn man bedenkt, dass du im Laufen geworfen hast. Ich habe dich vom Südfeld gesehen”, fügte er hinzu.
“Das war nicht die erste Schlange, die ich getötet habe”, erwiderte Cag. “Hier”, murmelte er zu Tess mit unbewusst zärtlicher Stimme und stellte sie behutsam auf die Füße. “Bist du in Ordnung?”
Sie schniefte, wischte sich die verweinten Augen und nickte.
Was sich soeben zwischen ihnen abgespielt hatte, war ihr peinlich. Sicher hatte Cag sie nur trösten wollen. Wie sollte sie es anders auffassen nach all den barschen Worten und seinem schroffen Verhalten, bevor sie auf die Schlange getreten war?
Cag machte einen großen Schritt zurück. Der innere Aufruhr, in dem er sich befand und der sich in seinen Augen widerspiegelte, blieb Tess jedoch nicht verborgen.
“Sie hat nicht gebissen?”, fragte er ein wenig spät und ging in die Knie, um ihre Beine zu untersuchen.
“Nein.” Tess schwankte. “Nein, nichts ist geschehen.” Sie blickte auf Cag herunter. Er ist schön, dachte sie benommen, als er sich aufrichtete.
“Lieber Himmel, Tess!”, stieß Leo hervor, nahm den Hut ab, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. “Du kannst nicht einfach so über das Feld rennen, ohne hinzuschaue n, wo du hintrittst. Beim Heumachen stoßen wir immer auf mindestens ein halbes Dutzend dieser verdammten Biester!”
“Es war nicht ihre Schuld”, meldete Cag sich mit überraschend ruhiger Stimme. “Ich habe sie durcheinander gebracht.”
Tess sah Cag nicht an. Sie konnte es nicht. Sie wandte sich mit einem schwachen Lächeln Leo zu. “Könntest du mit mir zurückgehen, nur bis zu dem Pfad, der nach Hause führt?”, bat sie. “Ich bin noch immer ein bisschen wackelig auf den Beinen.”
“Klar”, sagte er freundlich. “Ich trage dich auch, wenn du magst.”
“Nein, ich kann laufen.” Sie drehte sich um. Mit dem Rücken Cag zugewandt, fügte sie vorsichtig hinzu: “Danke für das, was Sie für mich getan haben. Sie haben mich in letzter Sekunde gerettet.”
Cag sagte nichts. Er hob das Messer auf und wischte es an seiner Jeans ab, um es dann in die Scheide hinten an seinem Gürtel zu stecken. Mit schwerem Schritt ging er auf den Traktor zu, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
“Was hat er denn getan, um dich so durcheinander zu bringen?”, wollte Leo neugierig wissen, sobald sie außer Hörweite waren.
“Das Gewöhnliche”, antwortete Tess resigniert. “Ich weiß wirklich nicht, warum er mich nicht vor die Tür setzt”, fügte sie hinzu. “Zuerst sagt er, ich könnte im
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