Dein Kuss verraet mir alles
noch klarzustellen”, fuhr er fort, als ob es dazwischen keine Pause gegeben hätte. “Du bist nicht hinter mir her gewesen. Ich habe dich zu einem Ausritt eingeladen.”
Tess nickte, aber sie konnte ihm nicht in die Augen schauen.
Ihre Verlegenheit war beinahe greifbar. Cag seufzte und ritt näher an ihre Seite. Dann streckte er die Hand aus und hob ihr Kinn an.
“Mach keinen Wind um einen Kuss, Tess”, sagte er ruhig.
“Es ist keine große Sache. Okay?”
“Okay.” Sie erstickte fast an diesem Wort. Das welterschütterndste Ereignis in ihrem Leben, und es sollte keine große Sache sein? Wahrscheinlich nicht für ihn. So wie Cag geküsst hatte, hatte er wahrscheinlich Jahre daran gearbeitet, um seine Technik zu perfektionieren. Aber sie war so noch nie geküsst worden, und dieser Kuss hatte sie völlig aus der Fassung gebracht. Wie auch immer, er würde es nicht erfahren. Er mochte sie ja nicht einmal. Soviel hatte er gesagt. Es war ein Impuls gewesen, und offensichtlich bereute er ihn bereits.
“Wohin reiten wir jetzt?”, fragte sie mit einem gezwungenen Lächeln.
Er warf ihr einen Seitenblick zu. Sie war verstimmt. Er hätte sie niemals berühren dürfen, aber er hatte nicht widerstehen können. Sie zu küssen war die reinste Freude gewesen. Jetzt musste er vergessen, dass er es jemals getan hatte.
“Zum nächsten Weideland”, antwortete er. “Wir scheuchen das herumstreunende Vieh auf, das wir finden können, und dann machen wir Schluss. Du bist sicher schon ziemlich müde.”
“Ja, das bin ich”, bestätigte Tess. “Es ist außerdem sehr heiß.”
In mehr als nur dieser Beziehung, fügte Cag im Stillen hinzu, aber er behielt es lieber für sich.
Er ritt davon und überließ es Tess, ihm zu folgen. Was geschehen war, wurde mit keinem Wort mehr erwähnt. Zum Schluss redeten sie nur, wenn es sein musste. Und am nächsten Morgen starrte Cag sie so wütend an, als ob sie der Grund für die Erwärmung der Erdoberfläche wäre. Alles hatte sich wieder normalisiert.
5. KAPITEL
Der Frühling ging in den Sommer über. Cag hatte Tess nicht wieder zu einem Ausritt eingeladen, aber er hatte Leo veranlasst, mit ihr über den Kursus für Botanik zu sprechen, der im Herbst an der örtlichen Berufsfachschule anfing.
“Ich möchte es wirklich”, sagte Tess zu Leo. “Aber werde ich dann noch hier sein?”, fragte sie mit einem nervösen Lachen.
“Cag ist in letzter Zeit schlimmer als je zuvor. Ich erwarte jeden Tag, dass er mich feuert.”
“Das wird er kaum”, versicherte ihr Leo und war überzeugt, dass Cag sie niemals gehen lassen würde, trotz seiner offenen Feindseligkeit ihr gegenüber. Cag mochte sie viel zu sehr.
Seltsam genug, dass Tess die Einzige war, die es nicht zu erkennen schien.
“Wenn ich dann noch immer hier bin”, antwortete sie, “würde ich den Kursus tatsächlich gerne machen.”
“Wir kümmern uns darum. Lass den Kopf nicht hängen, hörst du?”, fügte Leo freundlich hinzu. “Du wirkst in letzter Zeit niedergeschlagen.”
“Oh, das bin ich nicht”, schwindelte Tess. “Ich fühle mich gut, wirklich!”
Sie erzählte ihm nicht, dass sie nachts wach lag und sich in Erinnerung rief, wie Cag sie geküsst hatte. Aber wenn sie auf eine Wiederholung jenes Nachmittags gehofft hatte, so wurde sie enttäuscht. Cag benahm sich ihr gegenüber ausgesprochen widerlich, beschwerte sich über alles, angefangen über die Art und Weise, wie sie Staub wischte, bis zu der Art und Weise, wie sie seine Socken in Paaren einschlug und in den Schubladen verstaute. Nichts gefiel ihm.
Mrs. Lewis bemerkte trocken, dass er sich wie jemand benehme, der Liebeskummer habe. Tess fing prompt an, sich wegen einer imaginären Frau zu quälen, die er an jene n langen Abenden traf, wenn er die Ranch verließ und nicht vor Mitternacht nach Hause kam.
Er redete niemals über eine Frau, aber dann wiederum, er redete so gut wie überhaupt nicht über andere. Sogar seine Brüder wussten sehr wenig über sein Privatleben. Es machte Tess so große Sorgen, dass sie sogar den Appetit verlor. Wie würde sie es überleben, wenn Cag heiraten sollte? Der Gedanke an ihn mit einer anderen Frau war unerträglich. Wie um alles in der Welt hatte sie es nur fertig gebracht, sich in einen Mann zu verlieben, der sie nicht ausstehen konnte! Einen Mann, der in ihr nur die Köchin und Haushälterin sah?
Was sollte sie bloß tun? Tess fürchtete, dass man ihr ansehen könnte, in welcher Verfassung sie sich befand,
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