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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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kahlen Schädel, traurige Augen, dunkler Hut, den er hinter dem Rücken hielt. Meiner Mutter war er sofort der Sympathischere, zumal er ihr zunickte, als sie in die Küche ging, wo sie an diesem Morgen im Stehen frühstückte. Zurück von der Schule, hörte sie mit einiger Empörung, daß Großvater Isfahan verlassen hatte, ohne sie am Morgen in den Arm genommen, ohne ihr etwas von einer Reise gesagt zu haben. Bei Großmutter hingegen überwog der Stolz, daß ihr Mann die beiden Führer der »Werktätigen« begleitete, die von den heutigen Geschichtsbüchern als die brillantesten Strategen hinter dem betagten Premierminister beschrieben werden. Baghaí, der aus Kerman stammte, wo sein Vater an der Spitze der Konstitutionellen Bewegung gestanden hatte, war ein politisches Urtier: Strippenzieher, mitreißender Redner, begnadeter Organisator, ein Charmeur, wenn es half, ein Ekel, wenn es sein mußte, unverheiratet und ohne Privatleben, befreundet mit dem illusionslosen Sadegh Hedayat, Alkoholiker, angeblich in zwei politische Morde verwickelt und nur auf die Verwirklichung seiner Ziele ausgerichtet, die durchaus nicht selbstsüchtig gewesen sein müssen, wie ihm später vorgeworfen wurde, allerdings auch überheblich, eitel und der festen Überzeugung, daß der Zweck die Mittel heilige. Er selbst charakterisierte sich einmal im Parlament als einen Hund, der ohne Ansehen Freund und Feind zerfleischt. Als Doktor Mosaddegh noch die Opposition im Parlament anführte, trug Baghaí die Kampagne für freie Wahlen auf die Straße, rief zu Demonstrationen auf, gründete Zeitungen, koordinierte die Gruppen, Stände und Parteien, die in den Ruf nach der Nationalisierung des Erdöls einstimmten. Zum Held wurde er, als Schlägertrupps, die von der Polizei geschickt worden waren, die Redaktion des Parteiorgans angriffen. Baghaí kapitulierte nicht, sondern verbarrikadierte sich in dem Gebäude, benachrichtigte die Öffentlichkeit und leitete den Gegenangriff, als sich draußen genügend Unterstützer eingefunden hatten. Khalil Maleki war von ganz anderem Zuschnitt, ein public intellectual , wie es sie zu Zeiten Sartres gab, Verfasser bedeutender Bücher und einiger Parteiprogramme, allerdings als Redner keiner wie Baghaí, der eine Versammlung zum Kochen bringen konnte, und erst recht kein Taktiker, persönlicher Ehrgeiz schien ihm fremd, schielte nicht nach Ämtern, Theoretiker der Unabhängigkeitsbewegung mit untrüglichem, stets empathischem Blick auf die Praxis. So zweifelhaft heute der Ruf des trickreichen Mozaffar Baghaí, so sehr rühmen die Geschichtsbücher bis hin zu den Eminent Persians die Geradlinigkeit, die Opferbereitschaft und Integrität Khalil Malekis. Ein Muster für sein politisches Leben ist die Rolle, die er bei einem Streik im Deutschen Technischen Kolleg in Teheran spielte: Die Schüler forderten die Entlassung eines Lehrers, der einen Schüler geschlagen hatte. Als einziger stimmte Maleki gegen den Unterrichtsboykott, da er die Forderung für unrealistisch hielt. Gleichwohl beugte er sich dem Votum der Mehrheit und schloß sich dem Protest an. Als die Mitschüler bei der ersten Drohung der Schulleitung wieder in die Klassen zurückkehrten, blieb Maleki allein auf dem Schulhof zurück und wurde vom Kolleg verwiesen. Er wanderte nach Berlin aus, wo er an der Universität Chemie und ansonsten den Kommunismus studierte, kehrte nach Iran zurück und verliebte sich in eine selbstbewußte Biologin. Sie wurde seine Frau und echte Partnerin, finanzierte durch ihre Arbeit den Haushalt, wann immer Maleki aufgrund seiner politischen Aktivitäten keine Zeit oder keine Möglichkeit hatte, als Chemielehrer Geld zu verdienen. 1937 kam er während ihrer Schwangerschaft zusammen mit zweiundfünfzig weiteren Intellektuellen, die den Nukleus der kommunistischen Bewegung Irans bilden sollten, für mehrere Jahre ins Gefängnis. Als das Baby, das er nie anders als durch Eisengitter gesehen hatte, nach einem Jahr starb, dachte er, daß auf Erden ihm nichts Schmerzlicheres widerfahren könne. Danach widerfuhr ihm noch der Tod seiner Frau.
    Maleki gehört zu wenigen, durchweg tragischen politischen Figuren der modernen iranischen Geschichte, die sich für die Kunst des Kompromisses, des Dialogs, der kleinen Schritte stark machten. Weil er ihren Dogmatismus und ihre Moskauhörigkeit nicht

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