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redigierte hinterher wenig. Andere erschienen als Feuilletons. So dankbar er für das Geld ist, das die Schnipsel so leicht, so unerwartet einbringen, redet er sich nicht die Enttäuschung darüber aus, daà sie keine Reaktionen hervorrufen. Jede Meinung, die er abgibt, löst mehr aus, selbst die undurchdachte, dabei denkbar banale Bemerkung, die er im Radio â oder war es im Anschluà an einen Vortrag? â fallen lieÃ, Hauptsache, zum Thema, was immer das Thema ist, während es zwei Seiten über Hölderlin oder eine Reportage über Flüchtlinge auf Lampedusa, die auf Anweisung der italienischen Regierung nicht einmal mehr von den Ãrzten ohne Grenzen betreut werden dürfen, auf zusammen eine Lesermeinung bringen von insgesamt vier Zeilen, kein Brief, nicht einmal ein Ausschlag in der Statistik seiner Website, im besten Fall zwei Kurzmitteilungen von Freunden. Von den Alltagsbeobachtungen und Bildbetrachtungen zu schweigen: Die einzige Reaktion, die auf seine Flaschenpost erfolgte, war die Aufklärung darüber, daà die heilige Ursula unmöglich elftausend Freundinnen gehabt haben könnte. Weil der Romanschreiber statistisch nachweisbar niemanden oder praktisch niemanden interessiert und nicht einmal mehr sein eigener Verleger sich noch meldet, hängt er vom Wohlwollen eines Redakteurs ab, der an seinem Ausschuà einen Narren gefressen hat. Fürchtete er sich nicht zu sehr vor der neuerlichen Blamage, legte er die Dateien dem Agenten vor, der den Roman, den ich schreibe, nur auf seinen Gebrauchswert hin überprüfen würde. Bei inzwischen 904 Absätzen müssen doch ein paar dabeisein, die sich in ein Buch kopieren lassen, ein richtiges Buch mit Umschlag und allem, ein Reportageband etwa, eine Geschichte Irans im zwanzigsten Jahrhundert als erzählendes Sachbuch oder, verkäuflicher noch, eine westöstliche Familiengeschichte, das Leben seines GroÃvaters genannt, warum nicht auch der dreihundertste Stipendiatenbericht aus der Deutschen Akademie? Träte er als Muslim auf, der durchs katholische Rom streift, wie der berühmte Schriftsteller ihm allen Ernstes vorschlug, wäre der Jahresbericht der Nummer zehn originell genug für sagen wir zehntausend Euro VorschuÃ. Ja, das wird der Romanschreiber tun, jetzt sofort, wird seine Allmacht in den Hangar tragen und bis nach China verbinden, die Dateien dem Agenten schicken, der die Spreu vom Weizen trennen wird, vielleicht daà man sich der verbleibenden Ernte doppelt erfreue wie an der Blütenlese, mit der Stefan George Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts Jean Paul der Vergessenheit entriÃ. Der Agent »braucht ja nur das Ganze in seine gesonderten Eidyllen zu zerlegen, um dann jedes Einzelne rein zu genieÃen«, wie seinerzeit die Germanistik jubelte: Durfte sich doch auch Stefan George »sagen, daà das, was er aufgibt, ein in bezug auf Jean Paul im Grunde Unwesentliches sei«. Poetologisch hat der Romanschreiber den Tod überschätzt: Es starben zu wenige, um seine Selberlebensbeschreibung zu ergeben. Poetologisch interessiert es ihn deshalb nicht mehr, daà die Familie nach Rom zurückgekehrt und die Frau am Samstag, dem 20. Dezember 2008, um 1:03 Uhr noch wach ist, was sie eben fragte, als er die Wäschekammer verlieÃ, um die Dateien zu verschicken, mit welchem Ausdruck sie ihn anblickte. GroÃvater hingegen hat gegen Ende der Selberlebensbeschreibung Anwandlungen, plötzlich auf Vorgänge seiner Gegenwart einzugehen, auf seine Tochter, die seine Zettel abtippt, oder auf einen Geburtstag, wegen dem er nicht fortfahren könne. â Arbeitest du noch lange? fragt die Frau, die zur Wäschekammer hereinschaut. â Nein, ich gehe auch schlafen.
Was lehrte eigentlich Pir Arbab? In der Selberlebensbeschreibung GroÃvaters findet sich ein einziger Hinweis. Als Scheich Abu SaÃd, einer der berühmtesten Sufis des elften Jahrhunderts, einmal nach Tus kam, strömten in Erwartung seiner Predigt so viele Gläubige ins Derwischkloster, daà kein Platz mehr blieb. »Gott möge es vergeben«, rief der Platzanweiser: »Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen.« Da beendete der Scheich die Versammlung, bevor sie begonnen hatte. »Alles, was ich sagen wollte und sämtliche Propheten gesagt haben, hat der Platzanweiser bereits gesagt«, gab er zur Erklärung, bevor er sich umwandte und das Derwischkloster
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