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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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stehen bei dieser mathematisch kalkulierten Großzügigkeit? Wie könnten sie es wagen, nicht hinzugehen oder doch hinzugehen, aber ohne Geschenk? Was würden die Gastgeber sagen – und wenn nicht sie, dann die anderen Gäste? Und gesetzt den Fall, ich als Großvater würde verkünden, daß ich es ehrlich gesagt ablehne, Geburtstage zu feiern, und es auch absurd finde, das Kind selbst zu beschenken, wo es doch guter Brauch ist oder jedenfalls im Islam war, daß seine Eltern die Bedürftigen beschenken, gesetzt den Fall, ich würde diese große Ungehörigkeit tatsächlich wagen – oh, wie würde mir die Gnädige Frau zusetzen, wie würde sie schimpfen, daß sie nicht bereit sei, sich einer solchen Schmach zu unterziehen, um ihre eigene Ausdrucksweise zu verwenden, ist sie doch jemand, die ohne Umschweife erklärt, daß ich wohl übergeschnappt sei, nicht zum Geburtstag gehen zu wollen, jawohl: übergeschnappt sagt sie, natürlich müsse ich hingehen und ein Geschenk mitbringen größer und kostbarer als alle anderen Geschenke, da ich schließlich der Älteste der Familie sei, und zwar nicht nur einmal im Jahr, nein, nein, dreizehn-, vierzehnmal im Jahr bei jedem einzelnen Enkel steht sie neben mir und ruft steh auf, zieh dich an, wir müssen gehen, Kindergeburtstag, hast du das Geschenk?, wieviel hat es gekostet?« Jedesmal beschämt mich die Ältere, wenn sie von der Schule heimgekehrt sich wundert, daß wir ihr nichts vom Opferfest oder dem Ende des Ramadans gesagt haben, die türkischen Kinder hätten alle frei oder die Eltern Süßigkeiten in die Schule gebracht. Nur sie, die in der Schule den Vortrag zum Islam hielt, verbindet nichts mit den Festen, die Großvater noch heilig waren. Sie kennt nur noch die Lehre, aber nicht mehr die Form. Jetzt erfahre ich, daß bereits meine Eltern verlernt haben, ihr Jahr nach dem Kalender Gottes auszurichten. Der Bruch ist nicht in Deutschland und nicht zwischen ihrer und unsrer, sondern bereits in Isfahan, zwischen ihrer und der Generation Großvaters eingetreten, der ihn nicht einmal in der eigenen Familie zu verhindern wußte. Dennoch ist er frohgemut heute (wie gern wüßte ich, welcher Tag heute war, hätte er doch nur einmal das Datum notiert), und fährt daher fort, eine weitere seiner drolligen Anekdoten zu erzählen, diesmal vom letzten Geburtstagsbesuch. Gleichfalls frohgemut, da ich mich mit der Flucht ins Gästeapartment, in dem die Schwiegereltern untergebracht sind, rechtzeitig der Abschiedsfeier in Studio eins, zwei oder drei entziehen konnte, gebe ich sie zur Abwechslung einfach mal wieder: »Als die Gnädige Frau und ich eintrafen, umringten unsere Augenlichter uns und plazierten uns jeweils an einem Ende der Tafel. Obwohl solche Feste eigentlich den Kindern gelten, sind es doch vor allem Erwachsene, die sich versammeln, und das Geburtstagskind muß die meiste Zeit brav auf seinem Stuhl sitzen, statt draußen mit seinen Kameraden toben zu dürfen, wo es viel mehr Freude hätte. Aber gut, die Stimmung war fröhlich, das Fest in vollem Gange, als zwei junge Damen den Raum betraten, die ich beide nicht kannte. Wie überrascht war ich, als die Größere der beiden, die mich um zwei Köpfe überragte, sich ausgerechnet neben mich setzte! Wie es die Form verlangt, rief ich laut yâ Allâh , wie es einem Mann meiner Generation aufgetragen ist, der ein fremdes Haus betritt, damit sich die Frauen bedecken können, und erhob ich mich, um sie zu begrüßen. Den Blick hielt ich natürlich gesenkt. Dann setzte ich mich rasch wieder und traute mich auch fortan nicht, die junge Dame anzusehen, obwohl ich die ganze Zeit überlegte, wer sie war und warum sie den Stuhl neben mir gewählt hatte, ausgerechnet neben mir. Ich hätte sie wirklich gern kennengelernt, aber schämte mich, sie um ihren Namen zu bitten oder mich selbst vorzustellen. In meinem Alter schlug mir noch einmal das Herz wegen einer Frau! Endlich trat eines unserer Augenlichter mit dem Tablett in der Hand an meinen Stuhl und bot mir Tee an. Wie es die Höflichkeit gebietet, forderte ich sie auf, den Tee erst der verehrten Dame neben mir zu reichen. Da brach mein Augenlicht in solches Gelächter aus, daß beinah die Tassen vom Tablett gefallen wären. Nach und nach schloß sich die gesamte Versammlung ihrem Lachen an – nur ich selbst, ich verstand

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