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Deine Schritte im Sand

Deine Schritte im Sand

Titel: Deine Schritte im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Dauphine Julliand
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Aufgaben übernehmen«, erklärt uns die Krankenschwester.
    Die Abreise ist für den 1. August vorgesehen. Wir haben keine anderen Aufgaben, als unsere Koffer zu packen und die Tage zu zählen. Doch dann rutscht ein Sandkörnchen in das Räderwerk unserer Organisation und droht, alles zu gefährden. Die Krankenkasse lehnt es ab, für den Krankenwagentransport von Thaïs zum Haus meiner Eltern aufzukommen. Man ist der Ansicht, es handele sich um eine Vergnügungsreise. Darüber ließe sich diskutieren, doch das würde an dieser Stelle zu weit führen. Aber was sollen wir tun? Thaïs muss im Krankenwagen reisen, anders geht es nicht.
    Als die Betreiber des Krankenwagenunternehmens uns mitteilen, was ein solcher Transport kostet, sind wir verzweifelt. Es ist eine vierstellige Summe, und zwar ohne Kommas. Eigentlich nicht verwunderlich, denn in Rechnung gestellt werden die gefahrenen Kilometer, ein Chauffeur, ein ausgebildeter Pfleger, die notwendige medizinische Ausrüstung und anderes mehr. Die Summe würde unser Familienbudget bei Weitem sprengen. Aber dürfen wir unser schönes Projekt wirklich aus finanziellen Gründen platzen lassen? Es muss doch möglich sein, die nötigen Mittel irgendwie aufzutreiben! Und im letzten Moment bietet sich eine Lösung unseres Problems an. Eine Lösung, die sich hinter den drei wohltuenden Buchstaben ELA verbirgt.
    ELA IST DIE EUROPÄISCHE VEREINIGUNG ZUR BEKÄMPFUNG VON LEUKODYSTROPHIE-ERKRANKUNGEN und ein tröstlicher Fixpunkt in unserem Leben. ELA unterstützt Familien wie uns, die von dieser Krankheit in Mitleidenschaft gezogen werden. Mit anderen Worten: Es ist eine auf Hochgebirgstouren spezialisierte Vereinigung. Sie hilft uns, die täglichen Mount Everests zu erklimmen.
    Nachdem Thaïs’ Diagnose feststand, haben wir ziemlich rasch Kontakt zur ELA aufgenommen. Einen von unserer Seite aus recht zögerlichen Kontakt. Wir wollten nur die Verbindung herstellen und uns melden, ohne wirklich die Tür aufzustoßen. Für uns war es ein schwieriger Anfang. Wir hatten nicht die Kraft, uns auf andere Betroffene und andere leidende Eltern einzulassen. Vor allem hatten wir Angst vor den Dingen, die wir vermutlich durch sie erfahren würden. Wir wollten nicht, dass wir auf diese Weise die schreckliche Wahrheit über die Krankheit ins Gesicht geschleudert bekamen. Doch unsere Haltung änderte sich. Zunächst dachten wir, wir müssten uns schützen, aber schnell wurde uns klar, dass es wichtiger ist zu teilen. Wer konnte unsere Prüfungen besser verstehen als selbst betroffene Eltern?
    Die Atmosphäre zwischen den mit der ELA verbundenen Familien wird von einer Mischung aus Zartgefühl, Respekt, geteilten Sorgen und Ehrlichkeit bestimmt. Unter uns gibt es keine Zweideutigkeiten. Wir reden Klartext, ohne fürchten zu müssen, dass wir jemanden schockieren oder dass wir nicht verstanden werden. Wenn wir unter uns sind, wagen wir es zu lachen, zu scherzen und zu weinen. Wir kennen weder genierte Blicke noch unangebrachte Fragen. Unter uns geben wir dem Wort Mitleid seinen vollen Sinn, und die Solidarität entfaltet ihre ganze Kraft. Wir bilden eine große Familie. Eine gepeinigte und beschnittene Familie, aber eine, die fest zusammenhält. Eine schöne Familie.
    Doch die ELA beschränkt sich nicht darauf, eine Verbindung zwischen betroffenen Eltern herzustellen. Sie gibt nicht nur moralische Unterstützung, sondern beschafft auch materielle Hilfe. Und sie erleichtert den von der Diagnose Leukodystrophie betroffenen Familien, die zahlreichen Formulare und Anträge zu bewältigen. Die Angestellten und die ehrenamtlichen Mitarbeiter der ELA kennen die Tücken der Behörden. Sie wissen, welche Fragen man beantworten muss, wie man die Formulare ausfüllt und welche Unterlagen wichtig sind. Überdies kennen sie die finanziellen Probleme, die auf viele Familien zukommen. Aber sie begnügen sich nicht damit, den Alltag zu erleichtern, sie bemühen sich auch um andere Verbesserungen. Etwa indem sie es einer Familie ermöglichen, mit ihrer kleinen Tochter in die Ferien zu fahren. In ihre letzten gemeinsamen Ferien.
    ZEHN NACH ACHT. SIE SIND NICHT NUR PÜNKTLICH , sondern sogar ein wenig zu früh. Glücklicherweise, denn wir sind bereits ganz mürbe vom Warten. Seit dem Morgengrauen schon stehen wir bereit, aufgeregt und ein wenig gestresst von dem, was uns bevorsteht. Heute fahren wir in die Ferien.
    An der Tür erwarten uns zwei bekannte Gesichter. Die Besatzung des Krankenwagens hat sowohl Thaïs als

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