Deine Seele in mir /
Herz nun einen wahren Freudensprung. Ihre Bewegungen und diese sanften Töne – es wirkt wie ein enormer Befreiungsschlag.
Ich beuge mich vor und küsse Amy auf den Mund. Ihre Lippen sind etwas trocken, doch ich meine zu spüren, dass sie den sanften Druck meines Mundes erwidert.
»Ich liebe dich, Amy! Hab keine Angst, alles wird gut! Ich weiß jetzt Bescheid«, wispere ich unter Tränen und küsse sie immer wieder.
Irgendwann schließt die Panik zu mir auf und bringt mein überquellendes Herz für einen winzigen Moment zum Schweigen. Was, wenn Wilson hier erscheint? Was, wenn Amy zurück in diese Starre fällt und niemand sie dort mehr erreicht? Ich muss diesen Irren ausschalten! Ich muss die Polizei verständigen! Sofort!
Es dauert einige Sekunden, bis ich meine Gedanken geordnet habe.
Mein Handy!
Vor der Massage habe ich es auf dem Couchtisch abgelegt. Dort liegt es noch immer. Ich schließe meine Augen und atme tief durch.
»Ich bin sofort wieder bei dir, Süße«, flüstere ich in Amys Ohr und küsse noch einmal ihre Stirn.
Leise verlasse ich den Raum und schließe die Tür hinter mir.
Wilson darf nichts bemerken. Auf Zehenspitzen schleiche ich in Kristins und Toms Schlafzimmer, doch der Holzboden unter mir knarrt, und sofort steigt die Panik wieder in mir auf.
Endlich greife ich zum Telefonhörer.
In der Sekunde, in der sich mein Zeigefinger über der ersten Taste absenkt, ertönt ein metallenes »Klick« hinter meinem Kopf.
Ruckartig wende ich mich um.
Es ist Wilson. Er hält einen Revolver in der Hand, dessen Lauf nun direkt zwischen meine Augen gerichtet ist.
Es ist Toms Revolver, ich erkenne ihn wieder. Wilson grinst. »Da wollte ich dich gerade aus dem Zimmer deiner Liebsten holen, und schon kommst du mir entgegen. Braver Junge!«
Ich hole Luft, um etwas zu erwidern, doch Wilsons Grinsen stirbt. »Kein einziges Wort. Du tust genau, was ich dir sage.«
Ich nicke. Wilson deutet mit dem Kinn in Richtung Tür. »Wir machen einen kleinen Spaziergang zum Waldrand. Du gehst vor mir, ohne Aufsehen zu erregen. Keine Spielchen, mein Freund. Also los, vorwärts!«
Langsam schiebe ich mich an ihm vorbei und steige die Treppe herab. Ich bete im Stillen, dass Tom und die Frauen eher als geplant von ihrem Ausflug zurückkommen, doch alles bleibt ruhig. Wilson lässt die Haustür hinter uns angelehnt.
Er geht sehr dicht hinter mir. Den Revolver hält er in seiner Jackentasche versteckt und stößt ihn mir schmerzhaft gegen die Wirbelsäule, wann immer ich ihm zu langsam laufe.
Verdammt, was mache ich jetzt bloß?
Meine Beine kommen mir bewundernswert sicher vor. Wie ferngesteuert setze ich einen Fuß vor den anderen. Zuverlässig, wenn auch mit zittrigen Knien. Hinter dem Haus laufen wir durch das hohe Gras einer Wiese, die sich in leichtem Gefälle bis hinunter zum Wald erstreckt. Hier war ich noch nie zuvor. Der Garten der Kents ist blickdicht umzäunt, diese Wiese habe ich noch nie betreten. Und doch ... ich kenne diesen Platz.
Einige Grasbüschel ragen besonders lang aus dem saftigen Grün hervor; bunte Blumen flackern zwischen gebogenen Halmen, die der warme Wind umbläst.
»Schneller!«, zischt Wilson hinter mir. Mit dem festen Druck des Revolverlaufs in meinem Rücken komme ich seinem Befehl nach.
»Ich habe dich zwar spät erkannt, aber du mich Gott sei Dank ja auch, nicht wahr?«, wispert er hämisch.
Das Wort
Gott
aus seinem widerwärtigen Mund zu hören, ist eigentlich eine wahnwitzige Blasphemie. Mir ist jedoch gerade nicht zum Lachen zumute.
Wilsons nervöse Stimme klingt in meinen Ohren wider; sein heißer, feuchter Atem trifft auf meinen Nacken. Dieser schnelle, flache Atem. Ich kenne ihn nun – aus meiner Vision. Und ich weiß nur zu gut, was er bedeutet.
Es ist der adrenalingeladene Atem eines Mörders. Wilson schafft mich aus dem Weg. »Hast du dich nie gefragt, warum ich dich verschont habe?«
Doch, jeden Tag!, durchzuckt es mich, doch ich schweige.
Meine Antwort scheint ihn eh nicht zu interessieren.
»Nun, es war ein Fehler. Unser Wiedersehen ist quasi eine glückliche Fügung. So kann ich ihn bereinigen.«
Ein Schmetterling kreuzt meinen Weg und lässt sich auf einer violetten Blüte nieder. Die Schönheit eines Augenblicks. Verrückt, dass ich sie in dieser Situation noch so genau wahrnehme.
Doch wer könnte sich dieser Perfektion entziehen?
Die Sonne steht hoch am Himmel und wirft ihre Strahlen in den Bach, der den Wald begrenzt. Eine dünne Wasserader, die ein
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