Deine Spuren im Sand
bieten lassen. Die hat zurückgeschlagen!«
»Tatsächlich?«, fragte Berno in die Pause hinein, die sich abermals auftat.
»Sie hat verraten, dass eine Sängerin bei Kipp nur eine Chance auf einen Plattenvertrag hat, wenn sie sich auf die Besetzungscouch legt. Ist das ein Hammer?«
Berno brachte es nicht fertig, einfach Ja zu sagen. »Sie wird es beweisen müssen«, antwortete er stattdessen. »Diejenigen, die die Couch näher kennen, werden es nicht zugeben. Und Kipp hat sicherlich gute Anwälte!«
»Klar! Aber das ist ja noch nicht alles! Sie hat den Kipp wirklich voll ins Messer laufen lassen! Der macht Emily Funke nicht noch einmal vor laufender Kamera an! Der nicht!«
Berno beschloss, seine Rolle beizubehalten, und gab sich weiterhin ahnungslos. »Was ist denn noch passiert?«
»Das erfahren Sie, wenn Sie in der Redaktion sind.«
»Aber …«
»Erzählen Sie mir nichts von Ihrem freien Tag, Kaiser!«
»Also, gut.«
»Und bringen Sie einen gepackten Koffer mit!«
»Ich soll verreisen? Wohin?«
»Das werden Sie mir gleich erzählen!«
Mit diesen rätselhaften Worten beendete Piet Röder das Telefongespräch. Natürlich ohne Abschiedsgruß. Die Zeit für solche Banalitäten nahm er sich nie.
4.
M ir wurde klar, dass ich mit der Wahl des Hotels einen guten Griff getan hatte. Es hatte einen großen Vorteil: Um in mein Apartment zu gelangen, musste ich nicht durch die Lobby gehen. Das Gebäude wurde nämlich von einer Passage durchschnitten und dadurch im Erdgeschossbereich halbiert. Als ich die Rezeption mit dem Apartmentschlüssel in der Hand verlassen hatte, musste ich in diese Passage treten und auf ihrer anderen Seite in ein Treppenhaus gehen, das zu den Zimmern und Apartments führte. So konnte ich jetzt das Hotel durch diesen Gang verlassen, ohne die Lobby durchqueren zu müssen. Wenn ich mich auch ein wenig sicherer fühlte, die Angst vor Entdeckung hatte mich noch längst nicht verlassen. Ich war dankbar für alles, was mir Schutz versprach. Wer konnte schon sagen, wo Alex Traum nach mir suchte?
Natürlich führte mich mein erster Weg zum Strand. Eine Gästekarte hatte ich beim Einchecken erhalten, die Kurtaxe war im Apartmentpreis enthalten. Wie angenehm! So brauchte ich niemandem meinen Personalausweis vorzulegen, um an eine Gästekarte zu kommen. Ich konnte dem Strandwärter eine zeigen, die auf den Namen Elisabeth Maart ausgestellt war, und durfte die Kurpromenade betreten.
Durfte? Ich brauchte lange, um meinen Ärger zu überwinden. So lange, bis ich die Holztreppe hinabgestiegen war, die von der Kurpromenade zum Sandstrand führte. Sylt war meine Insel! Ich war hier geboren und aufgewachsen! Wie kam ein Strandwärter dazu, mich mit einer herablassenden Handbewegung an den Strand zu winken?
Aber diese Frage wurde von dem Wind mitgenommen, der vom Meer herüberkam. Bereitwillig ließ ich sie los und davonfliegen, weil ich wusste, dass sie anmaßend war. Was bildete ich mir ein? Wer fast zwanzig Jahre seiner Heimat den Rücken zugekehrt hatte, durfte jetzt nicht mit Ansprüchen kommen!
Als ich die Wasserkante erreicht hatte, zog ich meine Schuhe aus, krempelte die Hosenbeine hoch und wartete darauf, dass eine Welle über meine Füße schwappte. Kalt war das Wasser, eiskalt, obwohl der Sommer längst begonnen hatte, die Sonne schien und die Luft warm war. Die zweite Welle jedoch war schon weniger kalt, und vor der dritten zuckte ich nicht mehr zurück. So war es auch gewesen, als ich noch ein Kind war. Eine kleine, aber süße Erinnerung!
Mir war längst klar geworden, dass es nicht mehr viel geben würde, was noch so war wie vor zwanzig Jahren. Es sei denn … ich suchte danach. Darauf warten, dass sich mir etwas präsentierte, dass mich etwas aufhielt oder mir nachlief, konnte ich nicht erwarten. Nicht nach so langer Zeit!
Ich stieß eine Welle mit den Fußspitzen zurück. Was waren das für dumme Gedanken!? Ich war nicht nach Sylt gekommen, um in Erinnerungen zu baden! Ich war auf der Flucht! Und Sylt hatte ich nur deshalb als Zufluchtsort gewählt, weil ich glaubte, dass mich hier niemand suchte. Aus keinem anderen Grunde!
Ich wandte mich vom Meer ab, da geschah es. Der Wind griff unter eine meiner künstlichen Locken, und ehe ich nach der Perücke greifen konnte, fühlte ich, wie sie sich anhob, wie meine Stirn freigelegt wurde, meine Ohren den mittlerweile vertrauten Schutz verloren und sich dann das Gewicht von mir löste, das mir zwar nicht angenehm, aber in diesem Augenblick
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