Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
interessieren. Er hätte sich zu Drogen geäußert. Sie vermisse ihren Bruder. Sie habe ihn tot aufgefunden. »Ich bin weder verrückt noch gefährlich, nur etwas exzentrisch und einsam.« Ihre Selbsterkenntnis bricht mir fast das Herz. Ich kenne dieses Gefühl, diese innere Traurigkeit, das Hinsehenmüssen, um in der Lage zu sein, es ruhig und klar zu artikulieren, und es macht keinen Unterschied. Ich weiß, das Bild dieser jungen Frau gibt es, und ich überlege mir, es abzuholen. Aber nicht jetzt. Nicht jetzt.
Eines späten Abends legt mir GH zwei weitere Dinge vor die Tür. Musik, die er gemacht hat. Um mich anzuziehen. Und Salbei, sagt er, um ihn in meinem Herzen auszuräuchern.
Das kannst du nicht tun, mithelfen, dass ich dich exorziere. Es ist, als würde man sich selbst einen Spitznamen geben.
Weil seine Online-Fangemeinde nicht weiß, dass es aus ist, verkündet sie weiterhin, ich sei dick und hässlich. Das weiß ich selbst, aber es hat etwas Niederschmetterndes und auch Berauschendes, wenn es von wildfremden Menschen geschrieben wird. Um die schlimmsten Behauptung zu entdecken, googelt GH exotische Kombinationen seines Namens:
GH +unerotisch+Möse
Wie besessen lese ich alles, was über uns im Netz steht, und obwohl mir klar ist, dass es eine Art Selbstquälerei ist, kann ich nicht damit aufhören. Manche sind eindeutig antijüdisch motiviert, und ich sehne mich fast nach den guten, alten Tagen zurück, als antisemitische Schmähungen noch von Hand geschrieben wurden. Die Online-Fans wollen meinen Tod. »Vielleicht haben wir Glück und sie nimmt eine Überdosis Lithium«, schreibt eine und schließt dieses Todesurteil mit einem Smiley ab. Echt, man kann nicht sagen, man habe gelebt, bevor man nicht mit einem Emoticon zum Tode verurteilt wurde!
Es dauert nicht lange, bis sie herausgefunden haben, dass ich mit Dr. R zu tun hatte, und flugs kommen sie zu dem Schluss, ich sei kokainsüchtig. Schlimmer als alles andere finde ich, dass sie seinen Namen in die Hetzkampagne gegen mich hineinziehen. Aber ... warum bin ich hier?
Warum sehe ich mir das überhaupt an? Weil ein Teil von mir, trotz der vielen Sitzungen bei ihm, noch immer nicht weiß, welche Stimmen real sind und welche nicht?
Wenn Dr. R nur hier wäre! Wenn er nur noch am Leben wäre! Meine Mutter ist so außer sich, wie ich sie noch nie erlebt habe. Ich weiß weder, was ich tun soll, noch an wen ich mich wenden kann, und deshalb schreibe ich an Mike, Dr. Rs suchtkranken Patienten. Hier seine Antwort.
Emma,
als Suchtkranker, der momentan nicht auf dem Weg der Besserung ist, sondern schon viele Male auf Entzug und in Entziehungsheimen war, weiß ich, dass eine der wichtigsten Lektionen von
AA
lautet, dass ein Suchtkranker nie für einen anderen Inventur machen sollte. Sprich: Ich kann nicht beurteilen, was ein anderer richtig oder falsch macht. Ich kann nur aus eigener Erfahrung sprechen, und die muss nicht unbedingt auch auf eine andere Person zutreffen.
Ich lüge nie – ich bin in fast allem eklatant aufrichtig. Meine Sucht (oder Krankheit, wie manche sagen) lügt immer. Der Suchtkranke in mir tut und sagt fast alles, wenn es für ihn nützlich ist. Er hasst die Person, die immer die Wahrheit sagt, und deshalb lügt er für mich. Ich kann mich fast hören, wie ich sage: »Da waren Stimmen ...«
Ich hatte schon sehr gute Beziehungen mit Frauen, doch der Suchtkranke hat sie alle kaputtgemacht. Ich verliebe mich schnell, denn das verschafft einem ein Hoch, das sich eine Zeitlang mit Drogen messen kann. Ich habe nie eine Frau betrogen, ich bin sexuell monogam, doch dafür habe ich sie immer mit Drogen hintergangen, bevor die Beziehung in die Brüche ging. Ich war mit meiner Enabler-Person verheiratet (eine Frau, die nie Alkohol trank), wurde geschieden, als mein Verhalten so dysfunktional wurde, dass es unsere gegenseitige Abhängigkeit übertraf. Nach einer angemessenen Phase der Erholung hatte ich Beziehungen mit wunderbaren Frauen, doch der Suchtkranke in mir zerstörte diese Beziehungen früher oder später, und ich war wieder für eine Weile mit meiner ursprünglichen Frau zusammen, so »enabling« und ko-abhängig wie eh und je. Tatsächlich wollte ich vor einigen Wochen wieder mit Dr. R Kontakt aufnehmen, weil ich erneut so dysfunktional wurde, dass unsere Ko-Abhängigkeit in Frage gestellt war. Inzwischen hat sich die Lage wieder etwas entspannt, aber es geht keinem von uns gut damit. Doch ich brauche sie als meine beste
Weitere Kostenlose Bücher