Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
»... umhüllt von einem Mysterium«. Dann grinsen sie einander an.
Nach dem Geschirrspülen sagt Mum zu GH : »Ihr Jungen solltet besser ins Bett gehen, bevor Dad etwas Schlimmes sagt.«
In Dads Kopf ist mächtig was los, das sieht man ihm an – es gibt so viel Futter in der Boulevardpresse, dass er nicht weiß, womit er anfangen soll. Schließlich springt er auf, deutet auf GH und ruft: » GH besteht aus Käse und Aspik!«
Wenn Dad von da an über GH spricht, sagt er immer: »Mein Boyfriend sagt ...«, doch als ich eines Tages sage: »Dein Boyfriend lässt dich grüßen«, blafft Dad: »Er ist
nicht
mein Boyfriend, ich bin
seiner
!«
Einmal, im SPAR -Supermarkt, folgen uns zwei Neunjährige in Ronaldinho-Trainingsanzügen durch die Gänge. Wir ertappen sie mehrmals dabei, wie sie uns anstarren. »Achte nicht auf ihn, das ist nur ein blöder Großkopferter!«, sagt der eine Junge zu dem anderen. Und das, obwohl er selbst den größten Kopf hat, den wir je gesehen haben. Diese unglaublich falsche Selbstwahrnehmung finden wir zum Brüllen komisch, und wir tänzeln fröhlich Arm in Arm hinaus in den Abend.
An einer Tankstelle schiebt eine Mutter ihren kleinen Jungen zu GH und will ein Foto machen. Der Junge wehrt sich und will weglaufen. Verständlich. Klamottenmäßig ist GH gerade in einer Phase, die verdächtig nach Bobby Sands, dem 1981 verstorbenen IRA -Mitglied und Hungerkünstler, aussieht, wenn dieser bei den Dexys Midnight Runners wäre. Er wird dem armen Kind für immer als Fleisch gewordene Vision seiner schlimmsten Albträume in Erinnerung bleiben.
»Gute Frau, ich glaube, er will nicht«, sagt GH .
»Doch, du willst!«, erklärt die Mutter ihrem kleinen Sohn.
»Nein, er will nicht.«
»So, dann kriegst du keine Süßigkeiten!«, faucht die Mutter ihren Sprössling an.
GH fasst sich an den Kopf.
Damit er auf andere Gedanken kommt, tun wir etwas, das er liebt – wir fahren ziellos durch die Nacht und hören dabei in einer Tour
Postcards from Italy
von Beirut und
One More Cup of Coffee
von Bob Dylan. Wir müssen jedes Mal auf »Replay« drücken, kurz bevor die Songs zu Ende sind. »Machst du’s? Ich mach’s«, sagt GH und legt beim Fahren eine Hand auf mein Herz.
GH will mit mir eine Fahrt quer durch Amerika machen, sobald er zurück ist. Er sagt, ich solle Weihnachten und meinen Geburtstag für die Traumreise nach Istanbul reservieren. Er sagt, ab Januar sollten wir ernsthaft an Pearl arbeiten. Ich will alles, was er will.
»Es gibt EINE Sache, die ich ganz sicher weiß«, schreibt er mir. »Ich möchte, dass wir eine Familie sind.«
Wir werden allein geboren und sterben auch allein, doch auf der Reise durchs Leben treffen wir verschiedene Leute, und wenn man wie Dr. R Glück hat, bekommt man einen wunderbaren Gefährten. Das habe ich jetzt auch. Mir fehlen die Worte, um auszudrücken, wie sehr ich GH bewundere, seinen Intellekt, seine Freundlichkeit, sein Einfühlungsvermögen. Dr. R kann es leider nicht mehr erleben, aber es ist das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit.
27. Kapitel
Wir sind in einem buddhistischen Retreat in der Nähe des Fischerdorfes und liegen auf den Klippen im Gras. Wir haben keine Schuhe; die Haare sind wie für eine Leibesvisitation ausgebreitet. Hinter uns der Ozean. Ein spektakulärer Ausblick. Die Stimme in meinem Kopf ist die von Luke Kelly, der
Raglan Road
singt: »Wir gehen leichtfüßig am Rand entlang / einer tiefen Schlucht, in der man sehen kann / wie viel ein Versprechen der Leidenschaft wert ist.«
Wir liegen nebeneinander, unsere Fingerspitzen berühren sich, doch wir schweigen. Ich denke an Dr. R. Dass er mich verließ, ohne mir zu sagen, dass er fortgehen würde. Und auch, dass er davor noch diesen Patienten im Chateau Marmont erwähnte, der eine Überdosis genommen hatte. Nach einer Weile sage ich so beiläufig wie möglich: »Ich dachte, das wärst du gewesen.«
»Was, Baby?«
»Der Typ, der im Chateau eine Überdosis nahm. Ich dachte, du wärst vielleicht auch Patient von Dr. R gewesen und hättest es nur nicht erwähnt.«
Er lächelt. »Nein, Darling.«
Wieder schweigen wir. Er ist in seiner eigenen Welt. Meine Tränen kullern sachte ins Gras. Ich würde gern mal wieder hingehen, eines Tages, in das Retreat, um zu sehen, ob da, wo ich geweint habe, jetzt etwas wächst. Weder davor noch danach habe ich jemals so viel Frieden oder so viel Liebe verspürt. Zwei untrennbar verwandte Hippie-Schlagworte des Idealismus. Doch wie schockierend die
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