Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
Bis vor ein paar Tagen wusste ich nicht, wie viele Münzen es sind und welchen Wert sie haben. Außerdem rechne ich nicht damit, mal viel zu erben.«
»Du hast die Bankvollmachten, du hast den Schlüssel fürs Schließfach, und niemand außer dir und mir weiß, was darin ist.« Abwartend sah Hannes sie an.
Woher war er so gut informiert? Sicher durch Franzi. Und dann fiel der Groschen. Ach! So dachte er sich das! Tatsächlich eine Art von Banküberfall. »Du vergisst Paps.«
»Er hat Alzheimer und hat die Münzen längst vergessen.«
»Ich soll also meinen Vater bestehlen?« Wo war der Hannes geblieben, in den sie sich vor über zwanzig Jahren verliebt hatte? Er hatte sich völlig verändert. Vielleicht lag es an der wirtschaftlichen Not. Brachte sie die schlechten Seiten in einem zum Vorschein und ließ sie am Ende die Oberhand gewinnen?
»Ach, Clara. Immer diese harschen Worte. Nicht bestehlen. Nennen wir es einen kleinen Vorschuss auf dein Erbe nehmen.«
»Von dem am besten niemand weiß. Oder?« Wie konnte er nur mit einem derartigen Ansinnen hier auftauchen! Er kannte sie nicht. Und das nach so vielen gemeinsamen Jahren.
»Das habe ich nicht gesagt.« Sein Tonfall wurde beinahe flehentlich. »Clara, du musst mir helfen. Uns. Weißt du, was es kostet, zwei kleine Kinder zu haben? Wir kommen kaum über die Runden. Unsere Wohnung ist schon jetzt zu klein. Sechzig Quadratmeter unterm Dach für drei. Zu viert geht das nicht. Wir werden umziehen müssen. Doch das können wir uns nicht leisten. Genauso wenig wie eine Tagesmutter, einen neuen Kinderwagen, geschweige denn ein Auto oder Urlaub. Es ist doch nur eine Art Leihgabe, ein Vorschuss. Wenn die Schulden getilgt sind, bleibt mir mein volles Einkommen. Das ist genug, um meinen Kindern und meiner … Also, dann reicht es für ein anständiges Leben. Und auch dir würde es bessergehen.«
Clara war fassungslos. »Du meinst das wirklich ernst. Du denkst, ich nutze Paps’ Krankheit aus, um ihn zu betrügen, damit du mit Tanja und den Kindern Urlaub machen und dir ein Auto kaufen kannst. Paps ist krank. Er ist ein Pflegefall. Er braucht sein Geld selbst. Du wirst also warten müssen, bis er stirbt. Erst dann wird die Bank mein Erbe für deine Schulden bekommen. Wenn dann noch etwas da ist. Gut möglich, dass er hundert wird.« Der Zorn, der sie eben noch erfüllt hatte, brach in sich zusammen. Mit einem Mal fühlte sie sich müde und alt. Sie stand auf. »Du solltest jetzt gehen.«
Hannes schob den Stuhl zurück und schlüpfte in die alte Lederjacke. »Das ist dein letztes Wort?«
Sie ersparte sich die Antwort.
Das charmante Lächeln, mit dem er sie eben noch für seinen Plan zu gewinnen versucht hatte, war verschwunden. Im Grau seiner Augen lag ein böses Funkeln. »Eigentlich hätte ich mir denken können, dass von dir keine Hilfe zu erwarten ist. Auch wenn darunter zwei unschuldige Kinder zu leiden haben.« Eine Sekunde musterte er sie kalt. »Was ist nur aus dir geworden? Eine verbitterte alte Frau, die mir mein Glück nicht gönnt. Du kannst einfach nicht ertragen, dass ich habe, was dir fehlt: Menschen, die mich lieben. Das ist ziemlich erbärmlich.« Mit diesen Worten ließ er sie stehen und knallte die Tür hinter sich ins Schloss.
24
Seine Worte hatten sie getroffen. Fassungslos sah sie ihm nach, bis er im Durchgang zur Straße verschwand. Gehässig und beleidigend war Hannes nie gewesen. Ein völlig neuer Zug an ihm. Sogar die Trennung und Scheidung hatten sie einigermaßen zivilisiert hinter sich gebracht. Natürlich war der finanzielle Druck bei ihm höher. Doch was er sich da überlegt hatte … Es war geradezu aberwitzig, dass er geglaubt hatte, sie würde sich darauf einlassen. Für ihn und Tanja und die Kinder. Ausgerechnet. Für sein Glück! Für seine Zukunft!
Auf ihre Arbeit konnte sie sich nicht konzentrieren. Sie brauchte Bewegung und frische Luft und schlüpfte in den Mantel. Die Tür schloss sie sorgfältig hinter sich ab und kontrollierte, ob sie auch wirklich zu war.
Der Wind war kalt und trug den Geruch nach Regen in sich. Mit ausholenden Schritten marschierte Clara durch Haidhausen, am Gasteig und dem Müller’schen Volksbad vorbei, bis hinunter an die Isar. Der Fluss rauschte grau gen Norden. Linker Hand plätscherte der Auer Mühlbach. Wolken jagten über den Himmel, zwei Männer mit Hunden kamen ihr entgegen, auf einer Bank schlief ein Penner.
Langsam wurde sie ruhiger, verrauchte der Zorn, der Schmerz ließ nach. Sie war
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