Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
sich weigern, meine Tochter gehen zu lassen, machen Sie sich strafbar. Freiheitsberaubung und Kindesentziehung. Wahrscheinlich gibt es noch mehr strafrechtlich relevante Tatbestände, das müsste dann der Staatsanwalt klären.«
Zwanzig Minuten später trat Kathi mit Sack und Pack und in Begleitung der zwei Kollegen vor das Schulgebäude. Zornige Röte im Gesicht, wirbelnde Locken, fließende Tränen. Sie schrie und schlug um sich. Kirsten hätte heulen können.
»Du kannst nicht über mich bestimmen! Ich komme nicht mit zu dir! Das kannst du voll vergessen!«
Sie ging auf ihre Tochter zu. Dieses zornige Kind, so voller Wut, das sie nur zu gut verstand. Ihr geliebter Vater war tot. Der Mittelpunkt ihres Lebens. Eigentlich hatte er sie großgezogen, hatte sie gewickelt und gefüttert, mit ihr gelacht und getobt, mit ihr gespielt und ihr vorgelesen. Er hatte sie zu den Reitstunden kutschiert und die Hausaufgaben angesehen. Immer war er für sie da gewesen, während sie Karriere gemacht hatte. Und doch liebte sie ihr Kind, diesen Wildfang, dieses selbstbewusste und starke Mädchen, wie nichts auf der Welt. Sie musste einen Zugang zu ihr finden. Und deshalb musste sie jetzt die Ruhe bewahren.
»Es geht leider nicht anders. Ich lasse nicht zu, dass man einen Keil zwischen uns treibt. Du bist meine Tochter.« Sie nahm Kathi die Reisetasche, den Koffer und den Rucksack ab, in dem die Schulsachen steckten, und öffnete die Heckklappe.
»Du bist aber nicht meine Mutter!«, schrie Kathi mit hochrotem Kopf. »Ich habe dich nie interessiert. Ich bin dir völlig am Arsch vorbeigegangen. Und dann hast du Papa erschossen. Du bist eine Mörderin! Ich hasse dich! Ich hasse dich! Ich hasse dich!« Ihre Augen waren voller Tränen, Wut und Verzweiflung.
Kathis Worte trafen wie Axthiebe. Hilflosigkeit und die Angst, völlig versagt zu haben, dass alles zu spät war und nichts mehr zu retten, wollten sie vom Boden fegen. Sie hatte ihre Tochter längst verloren. »Und ich liebe dich!«, brüllte sie in ihrer Ohnmacht. »Ich liebe dich, und liebe dich, und liebe dich! Und deshalb kommst du jetzt mit!«
Der Kaffee war durchgelaufen. Kirsten setzte sich mit einem Becher an den Tisch. Ein Berg an Problemen türmte sich vor ihr auf. Gut, das erste hatte sie bereits gelöst. Das, wo Kathi wohnen sollte. Es gab ein freies Zimmer in der WG , das Dorothee an Übernachtungsgäste vermietete und das sie nun vorerst Kirsten überlassen hatte. Morgen musste sie sich auf die Suche nach einer Schule für Kathi machen. Am besten eine Ganztagsschule. Und dann brauchte sie noch eine Lösung für die Wochenenden, an denen sie Dienst hatte.
Die Wohnungstür wurde geöffnet. Xenia kam nach Hause. Sie hatte die Nacht mit ihren Freunden von der Filmhochschule durchgemacht und sah kurz in die Küche. »Morgen, Kirsten. Musst du in die Arbeit?«
»Geht nicht anders.« Plötzlich ein Geistesblitz. »Sag mal, Xenia, hättest du Zeit, dich heute um Kathi zu kümmern? Nur für ein paar Stunden und natürlich gegen Bezahlung.«
»Ich denke, sie ist im Internat.«
Kirsten präsentierte Xenia eine Kurzversion des Dramas.
»Würde ich gerne machen. Wir haben heute einen Dreh für einen Studentenfilm in Andechs, aber wenn es für dich okay ist, nehme ich Kathi mit ans Set. Es wird ihr gefallen.«
Kirsten war einverstanden. Allerdings musste sie Kathi nun doch wecken und fragen. Ein »Supi!« rutschte ihr raus. Für eine Sekunde leuchteten ihre Augen, bis sie sich auf ihre Rolle als entführte Tochter besann und wieder ihren vorwurfsvoll trotzigen Blick aufsetzte.
Ein weiteres Problem war gelöst. Mit sich zufrieden ging Kirsten unter die Dusche und machte sich fertig für den Tag.
Der neue Fall setzte ihr zu. Franziska Wiesbach, so alt wie sie selbst und Mutter von zwei Kindern. Ihnen die Todesnachricht zu überbringen, war furchtbar gewesen. Der Mann hatte sie völlig ungläubig von sich gewiesen, während sich stummes Entsetzen in Justins und Leonies Gesichtern ausgebreitet hatte. Sie mochte sich nicht vorstellen, durch welche Hölle sie jetzt gingen. Der Mensch, den sie am meisten geliebt hatten, war tot, aus dem Leben gerissen, von einer Sekunde auf die andere. Keine letzten Worte, keine liebevolle Geste, kein Abschied. Ein Ende wie ein Film, der riss. Den Ehemann sollte man sich allerdings mal genauer anschauen, überlegte Kirsten. Einer, der seine Frau prügelt.
Ein Blick auf die Uhr. Höchste Zeit. Sie verabschiedete sich von Kathi, die inzwischen
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