Delete: Thriller (German Edition)
neben ihr geschlafen. Allerdings war ihr nicht entgangen, wie er Pistole und Schlüssel außerhalb des Raums gebracht hatte. Sie beugte sich über ihn.
»Julius! Julius, mach bitte das Licht an!«
»Nein!«, rief er und presste die Hände auf seine Ohren. »Bitte nicht! Bitte, bitte nicht!«
Sie rüttelte ihn an der Schulter. Er stieß sie brutal beiseite.
»Dann holt mich endlich hier raus!«, greinte er. »Schaltet das Experiment ab!«
Sie tastete in der Dunkelheit nach dem Feuerzeug.
»Nein!«, schrie er noch einmal. Ein dumpfes Klatschen ließ erahnen, dass er sich selbst schlug. »Nein! Lasst mich in Ruhe! Lasst mich endlich in Ruhe!«
Sie fand das Feuerzeug. Die kleine Flamme ließ den Raum in einem flackernden, unwirklichen Licht aufscheinen. Sie zündete eine Kerze an. Wimmernd lag ihr Entführer da. Für einen kurzen Augenblick tat er ihr fast leid. Fieberhaft überlegte sie, wie sie seine Angstpsychose nutzen konnte. In diesem Zustand kam er ihr fast wehrlos vor. Wenn sie ihn bewusstlos schlug, konnte sie vielleicht den Betonklotz nach draußen zerren und …
Plötzlich hörte er auf zu wimmern, kam hoch und sah sich mit großen Augen um. Er sprang auf, verließ den Raum, kehrte mit der Pistole zurück und starrte Mina an, dass ihr kalt wurde.
»Geht es … geht es dir jetzt besser?«
Er lächelte merkwürdig. Seine Augen glitzerten von Tränen.
»Ja«, sagte er. »Es geht mir besser. Endlich hab ich’s kapiert. Eigentlich hätte es mir von Anfang an klar sein müssen. Wie blind ich war! Ich dachte, ich sei nur eine unbedeutende Nebenfigur, die zufällig die Wahrheit herausgefunden hat.«
Er machte eine Pause. Mina wartete, bis er weitersprach. Solange er redete, war die Pistole aus dem Spiel.
»Aber jetzt ist mir klar geworden, dass auch das ein Teil ihrer Täuschung war. In Wirklichkeit geht es um mich. Ich allein bin der Gegenstand des Experiments.« Er kicherte und setzte sich wieder auf die Matratze. »Kannst du dir das vorstellen? Nein, wenn du keine von ihnen bist, dann geht das sicher über deinen Horizont.«
Die kalte, arrogante Art, mit der er das sagte, vertrieb auch die letzte Spur Mitleid aus Minas Gefühlen.
»Du … du bist wahnsinnig«, stieß sie hervor.
Einen Moment schien er verunsichert, doch dann legte sich wieder dieses unnatürliche, beängstigende Grinsen über sein Gesicht.
»Meinst du?«, fragte er in seltsam sachlichem Tonfall. »Ein Wahnsinniger ist einer, der die Realität nicht erkennt, oder? Wenn das stimmt, bin ich der Einzige in dieser traurigen Realität, der nicht wahnsinnig ist!«
Er kicherte. Mina sagte nichts.
»Aber jetzt ist Schluss«, fuhr er nach einer Pause fort. »Ich werde dieses miese Experiment beenden. Sofort. Ich werde dich aus deinem Elend befreien – dich und all die anderen!«
Er hob die Pistole. Mina zuckte zusammen.
»Bitte … Julius, ich …«
Waren das Tränen auf seinen Wangen?
»Tut mir leid, dass ich dir das alles angetan habe. Es tut mir so leid!«, jammerte er jetzt völlig unerwartet und schob sich den Lauf der Pistole in den Mund.
»Nein, tu es nicht!«
Sie barg das Gesicht in den Händen, wollte nicht sehen, wie sein Schädel zerplatzte. Doch der Schuss blieb aus.
Erst nach einer ganzen Weile wagte sie es, ihn wieder anzuschauen. Er saß dort, die Waffe im Schoß, die Schultern zuckend im stummen Weinen.
»Ich kann es nicht«, schluchzte er. »Sie lassen es nicht zu.«
Er hob den Kopf und sah sie an. War da plötzlich Hoffnung in seinen Augen? Er hielt ihr die Pistole hin, den Griff voran.
»Tu du es!«
Mina starrte die Waffe an, eine Schrecksekunde lang unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Dann begriff sie, dass sie diese Chance nicht verstreichen lassen durfte. Hastig riss sie ihm die Waffe aus der Hand. Sie fühlte sich schwer an. Mina hob den Arm und zielte auf seinen Kopf.
»Mach mich los!«
Er lächelte traurig und schüttelte den Kopf.
»Ich warne dich«, sagte sie. »Wenn du mich nicht sofort losmachst, schieße ich dir ins Bein!« Der ganze aufgestaute Zorn quoll in ihr hoch wie bittere Magensäure. Ihre Stimme bebte und wurde zugleich kalt. »Du wirst Schmerzen haben, wie du sie noch nie erlebt hast, wenn du nicht sofort den Schlüssel holst. Ich werde dich nicht so einfach töten.«
Selbst im schwachen Kerzenlicht konnte sie sehen, wie er erbleichte.
»Das … das kannst du nicht tun! Bitte, Mina!«
»Und ob. Ich kann. Ich zähle bis drei. Eins … zwei …«
Er hob die Hände.
»Also
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