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Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gradweisen Unterschieden gültig ist.
    In den hier erörterten Beziehungen nimmt das weibliche Geschlecht eine ausnahmsweise Stellung ein, welche sich in keine Vergleichung mit derjenigen des Mannes bringen läßt. Dieser Punkt ist wohl in’s Auge zu fassen. Nehmen wir zwei Kinder, Knaben und Mädchen aus einem reichen Hause. Beide wachsen in einer wesentlich gleichartigen Umgebung auf, beide umgiebt derselbe Zuschnitt der Verhältnisse und beide erlangen vielleicht denselben Grad der Verwöhnung innerhalb eines sehr gepflegten, von allen Widerwärtigkeiten sorgfältig behüteten Lebens. Zollweise Unterschiede, die sich daraus ergeben, daß Erziehung und Lebensgewohnheiten des Knaben sich im Laufe seiner Entwickelung stets etwas kräftiger, derber, oder auch wohl rauher gestalten als beim Mädchen, wollen wir gar nicht in Anschlag bringen, sondern gleich den ungünstigsten Fall nehmen,   daß auch bei ihm das Wohlleben sich in der festesten Form als Begriff und Gefühl des unumgänglich Nothwendigen und völlig Unentbehrlichen etablirt habe. Die Folgen für beide Geschlechter, sobald das Liebesgefühl sich geltend zu machen beginnt und in die Gestaltung der Verhältnisse eingreift, ist gleichwohl keine gleichartige.
    Der Mann erwirbt. Begeistert ihn eine Liebesneigung so weit, daß er ein völlig mittelloses Mädchen an seine Seite zu ziehen sich vornimmt, so kann er sich sagen: »Ich werde eifriger arbeiten als vorher; das Glück wird meinen Unternehmungen hold sein, und ich werde allen Glanz des Lebens besitzen und – sie dazu.« Dem Mädchen ist nicht die Möglichkeit geboten, ein solches Raisonnement anzustellen, und die Passivität ihrer Lage kommt hier zum schärfsten Ausdrucke. Bindet ihr Gefühl sie an einen vollständig mittellosen Mann, so spricht sie damit eine Trennung von dem bisherigen Glanze und der Bequemlichkeit ihres Lebens aus. Die Trennung braucht allerdings nicht eine unwiderrufliche zu sein, die Jahre mögen eine Aenderung bringen, einen Wechsel, eine Verbesserung herbeiführen, aber vorläufig ist sie doch eine Thatsache, deren Aufhebung in das Reich der Unsicherheit gehört. Und dies gilt für alle Fälle, den einzigen etwa ausgenommen, in welchem das verfügbare Vermögen des jungen Mädchens auf der Stelle alle Schwierigkeiten hebt und ebnet.
    Der Unterschied ist somit sehr in die Augen springend. Der junge Mann kann doch jenem aufwallenden Idealismus, von dem oben die Rede war, nachkommen und Folge leisten, seine Verhältnisse und geistigen oder materiellen Mittel erlauben ihm das, er stellt einen Wechsel auf seine Zukunft aus und schlägt sich einstweilen die Sache aus dem Sinne, um seinem Liebesglücke zu leben. Ihn belastet, da er solchergestalt ein Auskunftsmittel besitzt, der Materialismus der Verhältnisse bei Weitem nicht so drückend und so entscheidend wie das Weib.
    Ich erinnere daran, daß ich an dieser Stelle nur von diesem Materialismus des Wohllebens spreche und von nichts Anderem. Wenn das Burgfräulein vergangener Zeiten den niedrig geborenen Knecht verschmähete, für dessen Wohlgestalt und körperliche Vorzüge sie im Innern gleichwohl erglühte, so gestattete sie zwar auch der Liebe, die den Standesunterschied nicht kennt oder wenigstens nicht achtet, keinen freien Spielraum, aber zwischen dem Momente, welches der Liebe dort hindernd in den Weg trat, und dem, welches aus einer bloßen Gewöhnung des Wohllebens heraus   das Gleiche bewirkt, ist doch wohl der erheblichste Unterschied. Dort vernichtete das Standesurtheil, das, so engherzig und grausam es sein kann, doch eine Menge ethischer Beziehungen in sich aufnimmt, eben durch diese letzteren die Möglichkeit, daß der Knecht seiner Herrin im vollsten Sinne des Wortes als Ideal erscheinen konnte. Sie mochte ihn bewundern und gewissermaßen eine Sehnsucht empfinden, ihn als Geliebten anschauen zu dürfen, aber sie vermochte es eben nicht, ihn in Wirklichkeit so zu erblicken. Seiner Männlichkeit fehlte ein Wesentliches, welches ihr befangener Sinn nicht von dem Geliebten zu trennen vermochte, und er war entstellt in ihren Augen, wie sehr sie auch sonst in jeder andern Beziehung ihm den Preis zuerkannte. Mit diesem seelischen Vorgange, der in allen ähnlichen, auch den modernen Verhältnissen wiederkehrt, wo ein wirkliches Standesbewußtsein die Schranke errichtet, hat selbstverständlich jeder andere, den ich berührte, nichts gemein. Er haftet als eine Eigenthümlichkeit an unserer Zeit und an Zuständen der

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