Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
er schließlich auch dieser unbequemen Stechbremse Herr wurde, so geschah es doch erst, nachdem ihn die Stiche derselben aufs empfindlichste verletzt hatten.
Um ebendiese Zeit zog auch noch ein neues Ärgernis herauf, und zwar der Prozeß, der gegen die Giftmischerin Geheimerätin Ursinus geführt wurde. Die Hertefelds waren in zurückliegenden Jahren mit dieser Frau bekannt geworden, nicht eigentlich intim, aber doch so, daß der alte Freiherr über sie schreiben konnte. »Wenn Frau Geheimrätin Ursinus zu mir kommt, so soll es mir angenehm sein. Denn obgleich sie sich mit ihrer Geschwätzigkeit ziemlich lächerlich macht, so kenne ich sie doch als eine Frau, bei der das Gute überwiegt .« Und nun war ebendiese Frau wegen denkbar schwerster Verbrechen angeklagt. Auch nur in einem alleroberflächlichsten Verkehr mit ihr gestanden zu haben mußte peinlich empfunden werden, und durch Jahr und Tag hin ist nun der »Ursinus-Fall« ein immer wiederkehrendes und mit einer gewissen Gêne behandeltes Briefthema. »Die Geschichte mit der Ursinus«, so heißt es im April 1803, »ist leider so garstig wie nur möglich. Ich weiß jetzt, daß sie schon früher (in Stendal) in dem Rufe stand, zu mausen. Der von seiner Vergiftung wiederhergestellte Bediente soll darüber allerlei Kuriosa ausgesagt haben.« Und im Oktober desselben Jahres: »Daß die Ursinus auf Lebenszeit eingesteckt wird, wirst Du wissen… Was dieses garstige Weib, außer dem Erwiesenen, auch noch an andrem abscheulichen Verdachte gegen sich hat, ist kaum zu glauben.« Und dann: »Über der Ursinus’ Dreistigkeit kann ich mich nicht genug wundern. Wie kann sie’s nur wagen, anständige Personen um ihren Besuch zu bitten, alles bloß, um ihnen etwas von ihrer Unschuld vorzuklagen? Um Versuche zu machen, habe sie das Gift gegeben. So sagt sie. Gut; aber warum hat sie nicht allerpersönlichst eine Unze Gift genommen? Das wäre das weitaus Beste gewesen.« Und endlich (am 16. März 1804): »Die Ursinus war überall und auch bei mir vergessen. Vorgestern hab ich mich ihrer wieder erinnern müssen, als ich aus der ›Hamburger Zeitung‹ ihre Abführung nach Glatz ersah. Sie hatte, wie Du wissen wirst, appelliert. Das Urteil ist aber einfach bestätigt worden, und sie hat nun ausgespielt.«
Das sind die letzten Worte, die sich über diese »cause célèbre« finden.
Die Geheimrätin hatte viel Ärgernis mit sich geführt, fast soviel wie der »Vetter in Häsen«, aber trotz dieser und ähnlicher Zwischenfälle waren es im ganzen doch glückliche Tage, diese Tage nach der Übersiedelung, am glücklichsten, wenn die Danckelmanns auf Besuch eintrafen: Eltern und Kinder, Hauslehrer und Bonne, Gesellschafterin und Dienerschaften. Da verkehrte sich denn freilich die Ruhe des Hauses in ihr Gegenteil, aber ohne daß der alte Freiherr, in seinem stark ausgeprägten Familiensinn, einen Anstoß daran genommen hätte. Zu besonderer Freude wurd ihm dabei das immer wachsend gute Verhältnis zwischen Sohn und Enkel, die (beinah gleichaltrig) am Vormittage dieselben Schulstunden, am Nachmittage dieselben Spielstunden hatten. Und wenn die Tischglocke läutete, so bewahrheitete sich’s an jedem neuen Tage, »je länger die Tafel, desto besser die Laune«.
Das ganze Leben aber, ob es nun stiller oder bewegter verlief, trug den Stempel einer vollkommenen Patriarchalität , an der uns nichts begreiflicher erscheint, als daß sie der alte Freiherr gegen ein öffentliches oder gesellschaftliches Leben nicht austauschen mochte, das ihm widerstand und in seiner Sitten- und Gesinnungslosigkeit auch widerstehen mußte . Denn es war eine wirklich grundschlechte Zeit und Mirabeau hatte richtig prophezeit, als er das damalige Preußen »eine vor der Reife faul gewordene Frucht« genannt hatte, »die beim ersten Sturm abfallen werde«. Wenn es nun freilich auch nicht wahrscheinlich ist, daß unser Liebenberger Einsiedler ähnliche, den Politiker bekundende Schlüsse zog, so war er doch andrerseits ein so scharfer Beobachter unserer Schwächen überhaupt, daß ihm ein intimer Verkehr mit den Menschen eigentlich schon um dieser scharfen Beobachtung willen unmöglich gemacht wurde. Was an eitler und selbstsüchtiger Regung in den Herzen steckte, lag offen vor ihm, und unter den vielen Hunderten seiner Briefe sind wenige, die nicht, an irgendeiner Stelle, von dieser allereindringendsten Erkenntnis ein Beispiel gäben. Er kannte den ganzen Adel, am besten den märkischen, schlesischen und
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