Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
2009
Überraschendes Geständnis
Der 4. November straft die Schilderungen im Landgericht Ulm Lügen. Es sind fast zehn Grad, die Sonne scheint über sechs Stunden, kein Regen verwässert den wunderbaren Eindruck draußen.
Heute soll zuerst noch einmal Frederik B. zum Einbruch im Eislinger Schützenhaus befragt werden. Anschließend will die 6. Große Jugendkammer mit der Vernehmung von Andreas H. beginnen. Dieser soll sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern. Bisher hat er geschwiegen, obwohl sein Anwalt erklärt hat, dass sein Mandant die Tatvorwürfe nicht bestreitet.
Wieder wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Die Eltern von Frederik B. dürfen jedoch als Zuhörer im Saal bleiben und der nichtöffentlichen Verhandlung beiwohnen – obwohl sie später selbst als Zeugen aussagen sollen. Das sei rechtlich kein Problem, sagt ein Gerichtssprecher. »Sie müssen halt bei der Zeugenvernehmung versuchen, zu abstrahieren und nichts zu verwenden, was in der Verhandlung gesprochen wurde.« Diese Ausnahme sorgt für einige Verwunderung unter den Prozessbeobachtern.
Andreas H. jedoch will sich nun überraschend doch nicht zu den Vorwürfen äußern. Sein Anwalt sagt, das psychiatrische Gutachten liege leider noch nicht vollständig vor und sein Mandant werde erst aussagen, wenn er dessen Inhalt kenne. Erst kurz vor Prozessbeginn hatte Andreas sich bereiterklärt, mit dem Sachverständigen zu sprechen und nun hat der Gutachter dieses Gespräch noch nicht vollständig auswerten können.
Um den Prozesstag dennoch voll nutzen zu können, beschließt die Kammer, Frederik B. nunmehr gleich zu den Morden an der Familie H. zu befragen. Jetzt werden auch seine Eltern des Saales verwiesen. Nicht etwa, weil sie in ihren Zeugenaussagen beeinflusst werden könnten, sondern weil das Gericht hofft, dass sich ihr Sohn freier äußern wird, wenn die Eltern nicht dabei sind.
Die Vernehmung verläuft schleppend, der Angeklagte antwortet nur in Wortfetzen und doch legt Frederik B. noch einmal ein Geständnis ab; allerdings ein überraschendes. Er gesteht, die Tat allein begangen zu haben. Er und nur er habe die Eltern und Schwestern von Andreas erschossen, er allein habe alle 31 Schüsse abgegeben.
Sein Anwalt teilt den Medien mit, B. habe in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Andreas gestanden und weder die Eltern noch die Schwestern gehasst. Die Schüsse habe er auf Bitten seines Freundes hin abgegeben. H. habe sich daheim nicht wohl gefühlt und so bereits ein Jahr zuvor Gedanken zur Tötung seiner Familie entwickelt. Dem habe Frederik sich nicht entziehen können. Ein wirkliches Motiv kann Frederik B. nicht nennen. Von dem Geld in der Schweiz will er nichts gewusst haben. Die Waffen, die die beiden Freunde bei ihrem Einbruch ins Vereinsheim der Schützengilde erbeutet haben, seien unabhängig von den späteren Morden gestohlen worden. Man hätte lediglich im Wald ein bisschen schießen üben wollen.
Hat Frederik B. vier Menschen nur deswegen erschossen, weil er seinen besten Freund nicht verlieren wollte, war er eine Marionette des resoluten Andreas?
Die zahlreichen Widersprüche kann Fredrik B. mit seinem Geständnis nicht ausräumen. Warum hätte er Eltern und Schwestern seines Freundes umbringen sollen – wo ist das Motiv? Auch an Andreas’ Händen wurden Schmauchspuren gefunden. Es wurde nachweislich aus beiden Waffen gefeuert. Ist Frederik wie ein Westernheld, in jeder Hand eine Pistole, durch die Wohnung gezogen? Und wer hat dann nachgeladen? In jedes Magazin passen neun Patronen. Allein die Schwestern haben insgesamt 19 Schüsse abbekommen. Im April hatte Frederik noch ausgesagt: »Wir waren das zusammen.«
Trotz dieser Wendung ändert sich für die Staatsanwaltschaft nichts. »Es spielt keine Rolle. Die Einlassung wird zur Kenntnis genommen. Dafür gibt es ja die Beweisaufnahme«, sagt ein Sprecher. Und natürlich muss das Gericht auch prüfen, ob das Geständnis überhaupt so stimmt. Die Göppinger Polizei äußert zu den neuen Schilderungen der Taten: »Wir haben richtig ermittelt.«
Nach dem überraschenden Geständnis kündigt der Anwalt von Andreas H. an, dass sein Mandant die Tat ähnlich schildern wird. »Das ist schon wichtig, denn bisher wird nur Andreas als kaltblütiger Mörder dargestellt.«
Der Freund von Annemarie hört im Radio von Frederiks Geständnis und ist verblüfft. »Ich verstehe einfach nicht, wie man so etwas für seinen Freund machen kann«, sagt er einer Zeitung im Interview.
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