Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
bittet ihn, sich zu melden. Seine Wahrnehmungen könnten bedeutend für die weiteren Ermittlungen sein.
Das Bild wird erst jetzt veröffentlicht, weil dies bei einer Öffentlichkeitsfahndung »eines der letzten Mittel« sei, die ergriffen würden. Die Persönlichkeitsrechte des Betreffenden sollten stets gewahrt bleiben. Dazu gehört auch, dass zunächst versucht wird, die Person durch interne Ermittlungen zu finden. Erst wenn dies nicht gelinge, veröffentliche man das Bild in den Medien.
Schon während und kurz nach der Sendung gehen mehrere Hinweise ein. Insgesamt werden es mehr als 100 sein. Eine heiße Spur wird nicht dabei sein. Auch der gesuchte Zeuge meldet sich nicht.
Eine neue Spur?
Mittwoch, 12. November 2008
Es ist ein nasskalter Mittwochabend im November, als Mantrailer eine neue Spur finden. »Mantrailing« ist ein Spezialgebiet des Rettungshundewesens. Im Gegensatz zum Fährtensuchhund folgt der Hund dem Individualgeruch eines bestimmten Menschen. Mantrailer können eine Spur noch nach Wochen und Monaten aufnehmen. Die Hunde, es sind Labradore, die in Leipzig eingesetzt werden, kommen aus Nordrhein-Westfalen. Und nun führt einer dieser Spezialhunde die Polizei zu einer Schule.
Das Humboldt-Gymnasium in Leipzig liegt fast in Sichtweite von Michelles Wohnhaus in der Möbiusstraße, nur eine Straßenecke entfernt. Auch der Spielplatz, auf dem Zeugen das Kind noch gesehen haben wollen, liegt gleich um die Ecke. Und es haben sich Zeugem gemeldet, die das Kind am Tag des Verschwindens noch am Gymnasium gesehen haben wollen.
Mehrere Zeugen berichteten zudem in den vergangenen Wochen, dass sie zu dem Zeitpunkt, als Michelle verschwand, Kinderschreie gehört haben, konnten jedoch den genauen Ort nicht benennen. Ein Akustiker wird zu Rate gezogen, der Bereich eingegrenzt. Die Schule befindet sich ganz in der Nähe. Haben die Kinderschreie tatsächlich etwas mit dem Verschwinden von Michelle zu tun?
Das Humboldt-Gymnasium ist ein großer gelbbrauner Kasten. Der Hund führt die Beamten in den Keller. Diese Räume sind normalerweise verschlossen. Zugang haben nur der Hausmeister und Mitglieder einer Schülerband; ab und an finden in einem Partyraum Feiern statt.
Zwölf Beamte ermitteln vor Ort, darunter auch Spezialisten der Tatortgruppe des Landeskriminalamtes. Die Spurensicherung dauert Tage. Das Gymnasium ist ein großes Gebäude, das voll unterkellert ist.
Am Ende werden es fast 1000 Spuren sein, die nun systematisch untersucht werden müssen, darunter Faserspuren, die mit Klebefolien abgenommen werden, Haare, Fingerabdrücke, Hautschuppen und auch Reste von Blut. Ein Polizeisprecher sagt der Presse am 14. November: »Wir sind uns sehr sicher, dass Michelle in dem Gymnasium war.« Dies müsse aber nicht bedeuten, dass der Aufenthalt mit ihrem Tod in Verbindung stehe. Womöglich war sie zu einem anderen Anlass schon einmal hier. Um dies zu klären werden nun Verwandte und Bekannte befragt.
Einen Tag später, am Sonnabend, wird der Keller des Gymnasiums mit Luminollösung ausgespritzt. Luminollösung, oft vereinfacht nur »Luminol« genannt, kann zum Nachweis von unsichtbaren Blutspuren verwendet werden. Auch kleinste Reste sind nachweisbar. Bei Anwesenheit von Eisen-II-Ionen aus dem roten Blutfarbstoff kommt es zu chemischem Leuchten (Chemolumineszenz). Wenn der Raum gut abgedunkelt ist, sieht man das helle grünblaue Licht, das von den versteckten Blutspuren ausgeht. Im Keller werden Blutspuren gefunden und sichergestellt. Nicht sicher ist jedoch, von wem dieses Blut stammt.
Zeitgleich befragt die Polizei die Mitglieder der Schülerband, die in dem Keller geprobt haben. Um DNA-Spuren Unbekannter von denjenigen unterscheiden zu können, die Zutritt zu dem Keller hatten, sollen vom Hausmeister und den Mitgliedern der Band Speichelproben abgegeben werden. Eine richterliche Verfügung ist nötig. Ein Schüler weigert sich zunächst, eine Probe abzugeben. Er möchte nicht in einer DNA-Datenbank gespeichert werden. Später heißt es dann, alle Proben seien freiwillig abgegeben worden.
Die Auswertung der DNA-Proben wird mindestens eine Woche dauern. Eventuell will man von allen Schülern des Gymnasiums Proben nehmen, dies jedoch erst dann entscheiden, wenn die gesamte Untersuchung des Kellers abgeschlossen ist.
Die Spur wird kal t
Im November 2008 erfährt man nicht mehr viel Neues über den Fall Michelle. Auch der Dezember verläuft ähnlich – die Fahndung verläuft noch immer erfolglos, noch immer
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