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Demudis

Demudis

Titel: Demudis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Blankertz
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erschaffen ist, ist nicht da, bevor es da ist: Also ist das Geschaffene nicht ewig, denn was ewig währt, ist immer da.« Bruder Hermann hatte schnell und ein wenig schrill gesprochen. Wilhelm fand es mutig, dass sein Freund es wagte, dem übermächtigen Meister zu widersprechen. Aus ihm wird sicherlich einmal ein ganz Großer, dachte er voller Bewunderung.
    Meister Eckhart sog tief Luft ein und stieß sie dann geräuschvoll aus. »Mein Sohn«, sagte er, »du redest wahr, soweit es den Menschen betrifft. Ich aber sage dir noch: In Gott ist keine Zeit. Das Ewige, der Anfang und das Erschaffen sind in Gott ein und dasselbe, so wie Er ungeteilt und einfach ist.«
    Bruder Hermann wandte sich an Wilhelm, der über die weisen Worte des Meisters nachgrübelte. Es war schwer, ihn zu verstehen. Er war so in Gott versenkt, dass es kaum möglich war, ihm zu folgen. Unterzog man sich jedoch der Mühe, gelangte man zu Einsichten in das Wesen Gottes, die so tief und unergründlich waren, dass die Freude darüber unermesslich wurde. Ein Gefühl, dachte Wilhelm, als würde man eins mit Gott! Bruder Hermanns Worte rissen Wilhelm aus seinen Gedanken.
    »Ist es nicht großartig, wie ein so vollkommener Geist immer wieder in so verständlichen und klaren Worten uns die ewige Wahrheit des Herrn verkünden kann?«
    Bruder Hermann erhob sich vom Schemel. »Danke, verehrter Meister, wir wollen Eure Zeit nicht länger für die nichtswürdigen Fragen von Anfängern verschwenden, wo Ihr doch so viel Wichtigeres zu bedenken habt.«
    Meister Eckhart gab einen Grunzlaut von sich und schlug sein Buch wieder auf.
    Was geht hier vor, macht sich Bruder Hermann über den Weisen lustig?, fragte sich Wilhelm, aber Bruder Hermann ließ ihm keine Zeit zum Nachsinnen.
    »Wir gehen«, sagte er schroff.
    Wilhelm trottete einen Schritt hinter Bruder Hermann her durch die Bibliothek vorbei an den großen Schränken, die hinter ihren schweren Türen all die bedeutenden Bücher beherbergten, um zu der engen Wendeltreppe zu gelangen, die hinunter in die Universität führte. Ohne nach rechts oder links zu schauen, stürmte Bruder Hermann an den Räumen vorbei, wo die gelehrten Disputationen stattfanden, denen er eigentlich hätte beiwohnen sollen. Wilhelm warf sehnsüchtig einen Blick hinein und sah die glücklichen Brüder, die dort lauschen durften. Warum nur folge ich ihm?, dachte er. Aber ach!, ich kann eben nicht anders. Er zog seinen Kopf zwischen die Schultern.
    Sie überquerten den Vorplatz. Der Schnee war karstig und dreckig.
    »Nun nimm endlich Haltung an«, befahl Bruder Hermann, der sichtlich in Aufruhr geraten war. »Wir müssen gut dastehen vor dem Erzbischof Heinrich. Es ist wichtig.«
    »Wäre es da nicht besser gewesen, gestern nicht …«, fragte Wilhelm.
    »Ich musste mich vorbereiten auf das, was da kommen mag, meinem Fleische zu seinem Recht verhelfen …«, begann Bruder Hermann. Doch als sie das Tor des Klosters durchquerten, nachdem sie Bruder Frulof, der die Torwache hielt, flüchtig zugenickt hatten, unterbrach sich Bruder Hermann jäh und schaute unwirsch um sich. »Sobald ich das Kloster verlasse, ist mir, als folgten mir Augen. Zwei Augen. Allüberall Augen.«
    »Das allwissende Auge Gottes ruht missgünstig auf dir«, brummte Wilhelm. Bruder Frulof wäre gern an meiner Stelle, dachte er. Sollte ich also nicht stolz darauf sein, dass Bruder Hermann mich auserwählt hat, ihm zu dienen?
    »Nein, nein«, beharrte Bruder Hermann, »es sind Augen der Menschen. Eines Menschen. Sie folgen mir. Sie beobachten mich.«
    Wilhelm schaute sich um. »Alle Menschen haben zwei Au gen«, sagte er nach gründlicher Abwägung schließlich, »aber sie folgen nicht dir, sondern jeder dem eigenen Weg. Nur Gott …«
    »Ach, halt den Mund davon«, unterbrach Bruder Hermann mit einer wegwerfenden Geste.
    Wilhelm gehorchte, aber fürchtete, sein Freund würde den Verstand verlieren und zum Narren werden.
    Um von etwas anderem zu sprechen, fragte er nach ein paar Schritten: »Sag mal, Bruder Hermann, wieso brauchen wir, brauchst du bei Ellikint … warum nimmt sie keinen Hurenlohn?«
    Bruder Hermann lachte heimtückisch. »Seinerzeit hatte Ellikint einen Friedel, einen Begarden von den Brüdern und Schwestern des freien Geistes, Bonzino mit Namen, und im Jahre des Herrn 1325, als Erzbischof Heinrich das ganze Gesindel ausgemistet hat, verhalf sie ihm zur Flucht. Niemand weiß es, außer mir. Und weil es dabei bleibt, ist es doch nur recht und billig, dass sie

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