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Demudis

Demudis

Titel: Demudis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Blankertz
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den Kanzeln predigen es die Pfennigspaffen, in den Gassen rufen die Buben uns Spottverse hinterher, auf dem Tuchmarkt tragen es die Klatschweiber weiter … Die Leute rotten sich zusammen, ich habe mit eigenen Augen mit ansehen müssen, wie ein aufgestachelter Haufen auf dem Großen Markt eine Begine vom Hospital Brigidia verdroschen hat. Wegen nichts! Auch hetzt man gegen Hechard, unseren allseits geliebten Meister Eckhart. Man wirft ihm Ketzerei vor. Und noch mehr. Er habe eine Buhle –«
    »Lächerlich!«, warf Schwester Angela ungläubig ein. »Dazu ist er doch viel zu alt. Aber Spottverse, ja, die habe ich heute auch vernommen.«
    »Eine Buhle«, bekräftigte Magistra Sela laut. »Eine von uns.« Sie blickte sich um und suchte eine Schwester mit den Augen. Bei Schwester Guta blieb sie hängen. »Dich beschuldigt man.«
    Demudis sah, wie Schwester Guta den Blick betroffen zu Boden senkte. Bekennt sie sich dadurch schuldig?, dachte Demudis. Oder ist sie nur beschämt wegen des Verdachtes?
    »Der sich selbst befleckende Erzbischof!« Schwester Mentha spuckte aus wie eine junge Gassendirne. Tatsächlich zählte sie schon fast siebzig Lenze. Im Jahre des Herrn 1325 war sie nur knapp den Nachstellungen des Erzbischofs entronnen, derer sie sich ausgesetzt sah, weil sie sich im Gefolge des Begarden Anselm befand und als Mitglied der Brüder und Schwestern des freien Geistes galt. Deren unstetes und sorgloses Leben wurde vielerorts als anstößig betrachtet, weil sie meinten, die Taufe spreche sie von allen Sünden frei und nichts sei ihnen zu tun verwehrt.
    »Nein, nicht der ehrwürdige Vater und Herr Erzbischof Heinrich«, berichtigte Magistra Sela. »Viel schlimmer.«
    »Es gibt niemanden, der schlimmer ist als Heinrich, mehr Erzbube als Erzbischof«, behauptete Schwester Godelivis fest.
    »Schandmaul!«, zischte Schwester Hardrun, aber erstaunlich kleinlaut. Auch sie wollte wohl nicht einer neuerlichen Verfolgung der Beginen zum Opfer fallen, dachte Demudis.
    »Wer könnte uns das denn sonst antun?«, fragte Schwester Jutta.
    »Der Heilige Vater in Avignon?«, mutmaßte Schwester Lora vorsichtig.
    »Ach, wohin«, ließ sich Magistra Sela wieder vernehmen. »Einer aus den Reihen der Predigerbrüder selbst.«
    Nun schrien alle Schwestern durcheinander.
    »Wer?«
    »Sag den Namen!«
    »O Gott! Das kann nicht sein.«
    »Verräter!«
    »Das ist nicht wahr!«
    »Gottloser!«
    »Das glaube ich nicht!«
    »Wie kommt er dazu?«
    »Weißt du es sicher, Magistra Sela?«
    »Zur Hölle mit ihm.«
    »Ruhe!«, verschaffte sich Magistra Sek Gehör. »Es ist ein gewisser Bruder Hermann. Hermann de Summo, vom Dom, so wird er genannt, weil er eine Waise ist und wie aus dem Nichts bei den Predigern aufgetaucht ist. Kennt ihn jemand? Ist er der Beichtvater von einer von euch?«
    Die Schwestern blickten sich an, und Demudis sah, wie alle mit zusammengekniffenen Mündern die Köpfe schüttelten, eine nach der anderen. Es entstand eine Pause, in der keine etwas sagte.
    In die Stille hinein rief Schwester Guta mit brüchiger Stimme: »Ich werde es in die Hand nehmen und richten.«
    Die Augen aller hefteten sich auf Schwester Guta. Demudis gewahrte, dass sich ihre Augen mit Tränen gefüllt hatten und sie es kaum vermochte, ihre Erregung im Griff zu halten. Aber es konnte nicht sein, dass dieser gewisse Bruder ihr Beichtvater war, denn dies war, wie bei den meisten Schwestern, Hechard selbst. Außerdem hatte sie noch nie gehört, dass die Beichtende den Vater richtet, vielmehr verhielt es sich doch eher umgekehrt.
    Schwester Guta drehte sich um und lief aus der Küche. Demudis hörte, wie sie die Pforte des Hauses aufriss und in die Kälte hinausstürmte.
    »Hinterher!«, brüllte Magistra Sela.
    Demudis war die Erste, die sich aus der Starre lösen konnte, und setzte Schwester Guta nach. Sie erhaschte noch den Blick, wie Schwester Guta an der südlichen Kreuzung von der Stolkgasse rechts nach oben einbog. Bei der nächsten Biegung hielt sich Schwester Guta links und nahm dann den Weg der Armenstraße in Richtung auf das Vrisintor. Auf einer vereisten Pfütze glitt sie aus, und Demudis konnte sie einholen.
    Am Rande nahm sie wahr, dass das aufgeregte Gelaufe die Blicke von Neugierigen angezogen hatte.
    »Keifende und prügelnde Beginen!«, lachte einer von ihnen. »So wie man sie kennt.«
    »Heilige Schwestern …«, begann jemand.
    »… des Teufels«, ergänzte ein anderer.
    »Bübinnen«, hörte Demudis lachende Stimmen rufen.

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