Demudis
»Erzbübinnen.«
Und wieder das Lied: »Beginen, Beginen, nicht so heilig, als sie schienen.«
»Sieh mal einer an! Da kommt die Begine zum Schnee wie die Jungfrau zum Kinde«, kreischte ein Weib. Es deutete mit dem Finger auf die am Boden liegende Schwester Guta. Demudis hielt das Weib seines Bauches wegen für guter Hoffnung.
»Lasst die Beginen in Ruhe, verdammtes Pack!«, ging ein junges Weib beherzt dazwischen. Es scheuchte die Leute weg, und Demudis verlor es aus den Augen.
»Was machst du für Sachen?«, fragte Demudis die gestrauchelte Schwester Guta entgeistert und bot ihr ihre Hand an, um ihr aufzuhelfen. »Warum läufst du vor uns weg? Niemand beschuldigt dich in irgendeiner Weise.« Das war vielleicht nicht ganz wahr, aber zunächst ging es darum, die Schwester zu beruhigen und zur Umkehr zu bewegen.
»Das ist es nicht«, antwortete Schwester Guta. Sie griff nach der Hand von Demudis. »Bitte, lass mich gehen. Vertraue mir. Ich kann alles wieder gutmachen.«
»Du musst uns sagen, wie du das anstellen willst«, forderte Demudis und begann sich über Schwester Gutas Heimlichtuerei zu ärgern. Heimlichtuerei ist aller Laster Anfang, dachte Demudis.
»So, muss ich das?«, sagte Schwester Guta scharf. »Was ich muss, ist, die Wahrheit zu sagen.«
»Wem?«, fragte Demudis.
Schwester Guta murmelte einen Namen, den Demudis nicht richtig hörte.
»Hechard?«, riet sie.
»… und Walram … und Paul … ihnen allen …«, sagte Schwester Guta, aber Demudis spürte, dass es keine Antwort war, sondern an sich selbst gerichtet.
»Sag sie auch uns, deinen Schwestern!«, forderte Demudis heftig.
»Ich bitte dich«, flehte Schwester Guta abwehrend. »Ich muss es tun, allein! Erst mit Gott ins Reine kommen. Dann wirst du alles erfahren … Ihr werdet alles erfahren …«
Demudis verlor ihre Kraft und ließ Schwester Guta ziehen. Sie schaute ihr hinterher, unfähig, sich zu rühren.
Ich muss die Wahrheit sagen, dachte Demudis, als sie Schwester Guta hinterherschaute. Wem, wenn nicht uns? Wer war Walram? Wer Paul? Das verstehe ich nicht. Ihr fiel ein, dass niemand von ihnen etwas über Schwester Guta wusste. Alle erzählten aus ihrem Leben traurige ebenso wie fröhliche Begebenheiten, manche taten es immer wieder, andere nur einmal, aber von jeder wusste sie alles, was es zu wissen gab. Bloß von Schwester Guta nicht. Was hatte sie zu verbergen? Nur wer etwas Schlimmes zu verbergen hat, gibt sich der Mühewaltung hin, die die Heimlichtuerei mit sich bringt.
Langsam und nachdenklich ging Demudis schließlich zurück zum Konvent, den dereinst ein frommes Weib namens Bela Crieg gestiftet hatte und der noch heute, viele Jahre nach ihrem Tode, ihren Namen trug. Die Schwestern empfingen Demudis mit vielen Ohs und Ahs und wunderten sich, dass sie ohne Schwester Guta zurückgekehrt war.
»Ist sie dir entwischt?«, fragte Magistra Sela.
»Dabei bist du jünger als sie!«, tadelte Schwester Mentha.
»Sie will es so«, erklärte Demudis müde.
Magistra Sela stellte sich breitbeinig vor Demudis und griff ihr kräftig unter das Kinn, um ihren Kopf nach oben zu biegen. Als sie Demudis in die Augen sehen konnte, sagte sie: »Du sagst jetzt sofort, was geschehen ist!«
Demudis zog unwillig den Kopf weg. »Ist schon gut, du brauchst nicht gleich grob zu werden.«
»Mach schon, Töchterchen«, ermutigte Schwester Mentha sie.
»Also, ich setzte ihr nach«, begann Demudis, »und auf der Armenstraße hat es sie von den Beinen gerissen. Die umherstehenden Leute meinten gar, wir hätten gerauft. Als ich bei ihr war, forderte ich sie auf, mit mir nach Hause zu kommen und alles mit uns zu besprechen. Sie antwortete aber nur, sie müsse jemandem die Wahrheit sagen.«
»Die Wahrheit?«, sagte Magistra Sela verwundert. »Was meinte sie?«
» Wen meinte sie?«, berichtigte Schwester Hardrun.
»Sie hat einen Namen genannt«, erinnerte sich Demudis nun genauer. »Ich habe ihn nicht genau verstanden, meinte aber, es hätte nach ›Hechard‹ geklungen, also vergewisserte ich mich –« Demudis unterbrach sich und horchte in sich hinein.
»Und was hat sie geantwortet?«, drängte Schwester Angela.
»Hechard hat sie, glaube ich, bestätigt und noch weitere Namen erwähnt. Weiß eine von euch, ob Schwester Guta etwas mit einem Mann zu schaffen hat, der auf den Namen Paul hört? Oder Walram?«
Die Schwestern schauten sich ratlos an und schüttelten den Kopf.
»Sie hat mich gebeten, sie unbehelligt zu lassen«, berichtete Demudis
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