Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Demudis

Demudis

Titel: Demudis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Blankertz
Vom Netzwerk:
schließlich. »Mir schien es, als sei es ihr ernst, und ich konnte nicht anders, als es ihr zu gewähren … Ich weiß auch nicht mehr, was mich abgehalten hat, ihr zu folgen … Es war mir, als müsste sie diesen Weg … müsste sie einen sehr schweren Weg gehen … allein …«
    »Das hast du richtig gemacht, Schwester Demudis. Jede von uns muss selbst wissen, welchen Weg sie geht«, beschied Magistra Sela, »und ob es derjenige des Herrn ist oder nicht, so wie es uns Hechard lehrt. Lasst uns zu Tische sitzen und beten für unsere Schwester Guta und dass Gottes Schutz auf unserem Hause ruhen möge.«
    Welche Wahrheit wird es wohl sein, die Schwester Guta Hechard meinte sagen zu müssen?, überlegte Demudis bang. Hechard. Walram. Paul. Nochmals: Wer war Walram? Wer Paul? Und wer waren all die anderen? Es sah danach aus, als wolle Schwester Guta aufräumen in ihrem Leben. Aber was hatte das mit der Anklage gegen Hechard und auch gegen sie selbst als seine Buhle zu tun? Demudis war nicht wohl bei diesen Fragen. Sie beschlich das gleiche lähmende Gefühl, als sie Schwester Guta hatte gehen lassen.
     
    *
     
    Jenseits des Eigelsteintores, am Nachmittag des 3.2.1327
     
    Sie hatte keine Gegenwehr geleistet und atmete schon nicht mehr, doch konnte er seine Finger, die sich tief in ihrem Hals verkrampft hatten, nicht lösen. Noch nicht. Sein Gesicht war rot angelaufen, Schweißperlen traten ihm aus den Poren und rannen ein kurzes Stück über Stirn und Wangen. Er betrachtete das blau aufgedunsene Gesicht der Toten und versuchte sich vorzustellen, dass das seine Mutter gewesen sein sollte. Kaum zu glauben. Er hatte sie nicht gekannt, nichts von ihr geahnt. Warum eigentlich sollte er sich ihretwegen ein Gewissen machen?
    Man solle Vater und Mutter ehren, ging es ihm durch den Sinn. Immerhin war es ja wohl sie gewesen, die ihn unter Schmerzen geboren hatte, und wenn sie es nicht getan hätte, wäre er jetzt nicht da. Musste er ihr nicht für sein schieres Dasein danken? Oder nicht vielmehr sie dafür schelten – so wie dereinst der weise Hiob den Tag, an welchem er geboren worden war, in seinem unermesslichen Leid verflucht hatte? Andere Mütter starben bei der Geburt. Flüchtig streifte es seine Gedanken, dass ihr Tod im Kindbett besser gewesen wäre, für ihn und für sie. Wie konnte man sich nur so lange mit einer Lebenslüge gemein machen? Genau genommen waren es zwei Lügen oder sogar noch mehr, doch es kam jetzt nicht mehr darauf an, sie zu zählen. Das wäre allzu kleinlich.
    Was hatte sie sich dabei gedacht, seine hochfliegenden Vorhaben erst anzustacheln und sogleich wieder zu hintertreiben? Das hatte er doch nicht zulassen dürfen!
    »Vergib mir, Paul«, hatte sie gestöhnt, unmittelbar bevor ihre Seele sich von ihrem Körper getrennt hatte. Welch eine Unverschämtheit! Welch eine Niedertracht! Es war, als habe sie seine Tat dadurch im Nachhinein geheiligt.
    Er löste seine Finger bedächtig von ihrem Hals und ließ ihren entseelten Körper in den pulvrigen Schnee gleiten. Er hätte nie gedacht, dass es ihm derart leicht fallen würde, einen Menschen vom Leben zum Tod zu befördern und Gottes Erbarmen zu übergeben. Er suchte geradezu nach einem Funken Bedauern, fand jedoch nichts. Es gab nur eine Erklärung dafür: Er hatte recht gehandelt. Sie war ihrer Unwahrhaftigkeit wegen der gerechten Strafe zugeführt worden. Durch seine Hand! Er war der Vollstrecker des göttlichen Willens, und das würde ihm vom großen Weltenrichter angerechnet werden.
    Aber was ist jetzt zu tun?, dachte er. Jetzt unmittelbar? Das hatte er sich nicht recht überlegt, als er vom Zorne übermannt zu Werke gegangen war. Sie hatte sich seinem Tun nicht widersetzt, sondern ihn nur unverwandt angeschaut. Oder verwundert? Oder war es mitleidig gewesen? Gar abschätzig? Ihr letzter Gesichtsausdruck ging ihm nicht aus den Augen, und das Stöhnen, mit dem ihre Seele dem Körper entwichen war, hallte unschön in seinen Ohren nach. Die Erinnerung an ihr Sterben durfte ihn nicht weiter verfolgen. Aber er hegte keine Hoffnung, dass er sie je wieder würde verscheuchen können. Für einen Augenblick wurde er traurig. Seine Mutter zu töten war eine schwere Sünde, selbst wenn sie die Strafe wahrlich verdient hatte. Schwerer als alle anderen Sünden, die er so zahlreich in seinem Leben begangen hatte und, wenn ihn nicht alles täuschte, durchaus weiter begehen würde. Da gab es nichts dran zu deuteln.
    Er fing sich wieder. Sollte er abwarten, bis die

Weitere Kostenlose Bücher