Demudis
anfing, den Bruder, sei er auch ein Erzbube, ernst zu nehmen. Sie zitterte. Ein Schwächling, der eine derartige Ungeheuerlichkeit mit so viel Überzeugung vorbrachte, war zu viel für Demudis. »Das ist nicht möglich«, hielt sie jedoch tapfer gegen seine Anschuldigung.
»O doch«, widersprach Bruder Wilhelm. »Die Welt ist bevölkert mit derartigen Bösewichten. Meister Eckhart beauftragte einen Meuchler, dies für ihn zu erledigen.«
»Und woher wollt Ihr das alles wissen?«, raffte sich Demudis auf, ihm entgegenzuschleudern.
»Bruder Hermann hatte Schlimmes befürchtet, nachdem er die Unterredung des Meisters mit einem Lumpen zufällig belauschte. Aber schon in Bälde wird der Tag kommen, an dem für Gerechtigkeit gesorgt wird. Wir versprechen es Euch.«
»Kein Wort nehme ich Euch ab«, wehrte sich Demudis erneut gegen die Furcht, die sich in ihr der alles durchdringenden Kälte zum Trotze wie eine grausame wütende Feuersbrunst ausbreitete. Wie konnte es nur sein, dass sie so plötzlich die Überzeugung, der Herr Bruno von Riehl sei der Täter, verlor und eine andere Möglichkeit in Betracht zog? Es ist keine Möglichkeit!, schärfte sie sich ein. Ich ziehe sie nicht in Betracht!
»Das erwarten wir auch nicht«, sagte Bruder Wilhelm wie beiläufig.
Er spricht von »wir«, stellte Demudis fest. Entweder ist er dem Wahne verfallen, ein ganz Großer zu sein, oder er bildet sich ein, sein Genosse sei zugegen und würde ihm beistehen. »Ich habe von Bruder Dirolf, dem Barfüßer, gehört, Bruder Hermann wolle der Familie von Schwester Guta die Nachricht von ihrem … äh … Ableben überbringen. Ich habe heute mit ihrer Schwester, Frau Engelradis von Berg, Witwe des Herrn Adolf von Riehl, gesprochen. Dort ist Bruder Hermann nicht gewesen. Ihr wisst bestimmt, wohin er gegangen ist.«
Bruder Wilhelms Selbstsicherheit verflog so schnell, wie sie entstanden war. Demudis sah ihn bleich werden. Sogar eine Träne rann ihm über die Wange. »Nein«, bekannte er fast unhörbar.
»Und das soll ein Freund sein?«, bohrte Demudis in der Wunde. »Er behandelt Euch nicht gut und zieht Euch nicht ins Vertrauen!«
Doch ihre Absicht, ihn durch ihre Gemeinheit zum Reden zu bringen, schlug fehl.
Stattdessen heulte er: »Es ist wahr, glaubt es mir, ich bitte Euch.«
»Es geht mir um etwas anderes.« Demudis ersann einen weiteren Weg, den nämlich, ihm den Hergang klar vor Augen zu führen. »Bruder Einhard hat sich erinnert, dass Bruder Hermann zur Sext am Tage nach Maria Lichtmess mit Schwester Guta gesprochen habe. Sie sei zu ihm in die … Beichte gegangen. Damit war er der Letzte, der sie, soweit ich weiß, lebend gesehen hat.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«, fragte Bruder Wilhelm wieder ein wenig schärfer. »Es war eine Beichte.«
Du wirst mir keine Gewalt antun, dachte Demudis, du nicht, du Bube! Sie zwang sich, äußerlich ruhig zu bleiben. »Sie ist uns kurz vor der Sext abhanden gekommen. Ich habe versucht, sie zurückzuhalten, aber sie war sehr aufgebracht über Eure Predigt oder vielmehr die von Bruder Hermann, in der sie eines Vergehens beschuldigt wird, das nicht über meine Lippen kommen mag.«
»Oho, so feinfühlig?«, spottete Bruder Wilhelm. »Nun ja, sie war in der Tat aufs Äußerste erregt, als sie sich zu Bruder Hermann flüchtete.«
Der Spott kam Demudis hart an. Schon heftiger fragte sie: »Was war ihr Anliegen?«
»Beichten, nehme ich an«, erklärte Bruder Wilhelm und lächelte schmallippig. »Sie wollte dadurch erreichen, wie Ihr Euch vielleicht denken könnt, dass er seine gerechte und wahre Beschuldigung aufgeben sollte, um sie durch eine Lüge zu ersetzen.«
Es war ja unerträglich, mit diesem üblen Burschen zu sprechen! »Was für eine Lüge?«
»Dass er leugnen möge«, antwortete Bruder Wilhelm bereitwillig, »sie sei die Konkubine des Meisters, den Ihr Hechard nennt.«
So weit, so gut. Das hatte sie eigentlich schon vorher gewusst. Ihr war wichtig zu erfahren, was gesprochen worden war. »Welchen Grund hätte sie vorbringen können, der ihn hätte überzeugen sollen?«
»Welchen Grund?« Völlige Verständnislosigkeit zeichnete sich in Bruder Wilhelms breiigem Gesicht ab.
Demudis konnte nicht ausmachen, ob er nur so tat oder wirklich ein derartiger Tor war, dass er nicht verstand, was sie gemeint hatte. Überheblich erläuterte sie ihm: »Ja, wenn man etwas von einem anderen will, muss man doch einen Grund angeben können. In Euren Disputationen heißt Ihr das, soweit ich
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