Den Löwen Zum Frass
rotsandigen, mit Felsen übersäten fruchtbaren Ebene hat eine wunderschöne Lage, obwohl ihr der Panoramablick des höher gelegenen Kyrene fehlt.
Apollonia ist eine lang gestreckte Ansiedlung, so nahe am Ufer erbaut, dass die Wellen bei wirklich rauem Wetter sogar bis in die prächtigen Tempel schwappen. Die hübschen, mit Säulengängen geschmückten Häuser der hellenistischen Kaufleute und Landbesitzer befinden sich meist in vernünftiger Entfernung vom Meer. Doch selbst die luxuriösesten Bauten schmiegen sich eng an den inneren und äußeren Hafen.
Dort herrscht reger Schiffsverkehr, der sich das ganze Jahr über an den Kais drängt. Der Handel ist das Leben von Apollonia. Er hat den Ort über Jahrhunderte zu einer der blühendsten Hafenstädte ge-
macht, nur einen Katzensprung entfernt von Kreta, Griechenland, Ägypten und Arabien, und gleichzeitig ein guter Ausgangspunkt für Fahrten nach Karthago, Rom und all die begierigen Märkte im westlichen Teil des Mittelmeers. Selbst ohne Silphion wetteifert der Geruch des Geldes mit dem Salzgeruch des Meeres.
An diesem strahlenden Nachmittag war Claudia Rufina mit raschem Schritt an den weitläufigen, sonnenbeschienenen Villen vorbeigegangen. Sie sahen so großartig aus, dass es sich um administrative Paläste handeln konnte, aber da die Cyrenaika von Kreta aus verwaltet wurde, waren es in der Tat nur riesige, verschwenderische Privathäuser. Wie gewöhnlich bei den Behausungen der in Geld schwimmenden Reichen war kaum ein Anzeichen von Leben wahrzunehmen. Gelegentlich putzte mal ein Leibwächter gelangweilt an den glänzenden Verzierungen einer Kutsche herum, oder ein ordentlich gekleidetes Dienstmädchen huschte schweigend für eine Besorgung heraus. Von den wohlhabenden Besitzern war nichts zu sehen; entweder gaben sie sich ihrer Verdauungssiesta hin oder lebten sogar ganz woanders.
Schließlich tauchte Claudia am östlichen Ende des Ortes hinter dem Außenhafen auf einem gewundenen Pfad auf, der offensichtlich irgendwo hinführte. Also ging sie weiter. Ich befand mich kurz hinter ihr, und sie hätte mich gesehen, wenn sie sich umgedreht hätte, was sie aber nicht tat.
Es war heiß und friedlich, ein angenehmer Spaziergang durch die Küstenlandschaft. Trotz ihrer leichten Sandalen behielt Claudia ihr rasches Tempo bei, obwohl der Pfad immer rauer und steiniger wurde. Das Terrain stieg leicht an. Sie überwand eine Hügelkuppe am Ende der Stadt, nur um vor sich eine weitere auftauchen zu sehen. Die Stola eng um sich geschlungen, ging Claudia direkt auf die Hügelkuppe zu und verschwand dann plötzlich. Nervös beschleunigte ich meinen Schritt. Ein erschreckter Regenpfeifer flatterte fast unter meinem Stiefel auf.
Die Luft war klar. Ich hetzte den Abhang hinauf. Zu meiner Linken war das Meer verblüffend blau. In der Nähe der Küste lag eine Reihe kleiner Inseln. Brecher donnerten in eine hübsche Bucht, sehr weit unten. Vor mir lag ein steiler Felsabbruch. Ich blieb stehen und rang nach Luft.
In die Felswand, die einst eine abgeschiedene Bucht umrandet hatte, war ein perfekt gelegenes Amphitheater hineingebaut. Es befand sich in trauriger Verfassung, bedurfte dringend einer Restaurierung durch einen vermögenden Gönner.
Der Pfad aus der Stadt hatte uns direkt an den oberen Rand geführt, mit Zugang zu den höheren Sitzreihen. Während ich dastand wie eine Statue auf einem Tempeldach, war Claudia weiter nach unten gestiegen, hatte sich auf eine der Stufen gesetzt, die Ellbogen auf den Knien und das Gesicht in den Händen, und schluchzte herzergreifend.
Ich ließ sie eine Weile in Ruhe und überlegte, was ich tun sollte. Sie war von ihrem tölpelhaften jungen Liebhaber entsetzlich behandelt worden und vermutlich bereit, sich jedem mitfühlenden älteren Mann, der ihr Trost spendete, an den Hals zu werfen. Die Situation konnte gefährlich werden.
Ich stand ganz still mit gespreizten Beinen, um das Gleichgewicht zu halten. Der Wind zerrte an meinen Haaren. Von hier oben schien sich der Meereshorizont in einem Halbkreis zu erstrecken. Die Schönheit und Abgeschiedenheit des Ortes griff mir ans Herz. Wenn das Leben gut zu einem war, konnte man hier, in Sonnenlicht gebadet, vor Zufriedenheit glühen. Aber wenn die Seele bereits aus verzweifelten Gründen trauerte, wäre die melancholische Anziehung des Meeres und des Himmels unerträglich. Für das zusammengesunkene, zitternde Mädchen da unten, so ganz alleine, wo es von einem lärmenden, von der Sonne
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