Den Löwen Zum Frass
Schreck.
»Helena wurde vor einiger Zeit sehr übel von einem Skorpion gestochen«, erklärte ich kurz angebunden. Ich trieb sie alle aus dem Zimmer und kehrte zurück, um das eklige Viech zu vernichten. Nachdem ich es in Stücke gehauen und Rache dafür genommen hatte, was der andere Skorpion meinem kostbaren, geliebten Mädchen angetan hatte, blieb ich einen Moment lang auf den Fersen hocken und dachte daran, wie Helena beinahe gestorben war.
Ich ging zu ihnen hinaus, umarmte sie und Julia, beruhigte sie und zitterte sogar.
»Ist schon gut, Marcus.«
»Wir fahren nach Hause.«
»Nein, ist schon gut.«
Als wir uns wieder beruhigt hatten, merkten wir, das Euphrasia bei der entstandenen Panik die Gelegenheit ergriffen hatte, unbequemen Fragen auszuweichen, und aus dem Haus geschlüpft war.
Wir konnten meine Klientin nicht fragen, was Euph- rasia gemeint hatte, weil Scilla immer noch nicht aufgetaucht war.
Dann kam plötzlich, aus heiterem Himmel, ein Brief der sich so rar machenden Scilla. Er lag morgens auf der Türschwelle, so dass es keinen Boten gab, den man hätte befragen können. Offenbar befand sie sich jetzt in Leptis, schwieg sich aber, wie üblich, über ihre Adresse aus.
Sie gestand, dass sie nach ihrer Ankunft hier (was bereits einige Zeit zurückliegen musste) mich nicht finden konnte und daher jemand anders engagiert hatte. Sie nannte Romanus nicht ausdrücklich, obwohl ich annahm, dass er es war. Es war ihm gelungen, die beiden Männer für sie zu kontaktieren, und es gab Pläne für eine Vereinbarung. Ich sollte meine Rechnung an das Haus von Pomponius Urtica in Rom senden, zur Deckung der Auslagen, die ich bisher gehabt hatte. Meine Dienste wurden nicht mehr benötigt.
Ausbezahlt, was?
Nicht mit mir, Scilla. Meine Klienten verließ dauernd der Mut, und sie zogen sich zurück; das war das Risiko meines Berufes. Der Schlamm, den sie oft aufwühlten, überraschte sie und brachte sie dazu, sich die Sache noch mal zu überlegen. Es hatte keinen Zweck, sie unter Druck zu setzen, wenn sie den ursprünglichen Impetus verloren.
Allerdings hatte auch ich nicht die Angewohnheit, einen Fall, der einmal mein Interesse geweckt hatte, ohne weiteres sausen zu lassen. Ich würde mit der Arbeit aufhören, wann es mir passte. Was bedeutete, wenn meine Neugier gestillt war.
Am Abend vor den Spielen unternahmen Rutilius und ich eine ruhigen Spaziergang zum Amphitheater.
Wir überquerten den Wadi in der Nähe des Hafens, gingen dann am Strand entlang, hüpften entweder von einem Stein zum anderen oder versanken im weichen weißen Sand.
»Hier geht es sich schwer«, maulte Rutilius und streckte seine Wadenmuskeln. »Morgen sorge ich für ein Transportmittel. Wird Helena mitkommen?«
Ich sammelte eine Sepiaschale auf. »Ja. Sie sagt, sie habe Angst, ich würde sonst am Ende mit jemandem in der Arena kämpfen.«
»Steht das zu befürchten?« Er klang schockiert.
»Ich bin doch nicht verrückt.« Den Gladiator zu spielen bedeutete, für immer in Ungnade zu fallen und auch noch Strafe zahlen zu müssen.
Alle drei Lanistae würden mit Sicherheit die Spiele besuchen. Ich erwartete, dass es zu einer endgültigen Kraftprobe kommen würde, und das wusste Helena Justina. Es hatte keinen Zweck, das vor ihr zu verbergen, dazu war sie viel zu empfindsam. Ich
war auf alles vorbereitet, und Helena daher genauso.
»Die Arbeit, die Sie leisten, kann gefährlich sein, nicht wahr?«, meinte Rutilius. »Also, was erwartet uns morgen, wenn ich fragen darf?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht gar nichts.«
Vielleicht, aber nicht nur ich vermutete, dass es zu einer Krise kommen könnte. Dieser Spaziergang zur Erkundung des Geländes war Rutilius' Idee gewesen. Er wirkte ruhig, doch ich war mir ziemlich sicher, dass Rutilius Gallicus, Sonderbeauftragter Vespasians, genauso angespannt war wie ich.
Er hatte seine eigenen Sorgen, hatte das Land zwischen Leptis und Oea vermessen und war bereit, die Ergebnisse bekannt zu geben. »Ich bin nur der letzte Dummkopf in einer langen Reihe mit Tradition«, erzählte er mir, als wir uns dem Stadion näherten, das wir als Erstes erreichten. »Grenzzwistigkeiten existieren hier schon seit langer Zeit. Es gibt ein berühmtes Ereignis, als Karthago und die Cyrenaika darüber in Streit lagen. Zwei Brüderpaare liefen gleichzeitig von Leptis und Kyrene los. Wo sie sich trafen, sollte die neue Grenze liegen. Leider warfen die Griechen von Kyrene den beiden Brüdern aus Leptis vor, betrogen zu
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