Den Löwen Zum Frass
Beinen und wachem Blick, vollendete gerade einen fantastischen Wurf. Ich applaudierte, winkte ihn zu mir, und als er höflich zu mir kam, erzählte ich ihm vom Tod des Löwen. Seine Gefährten schlossen sich uns an, offenbar in hilfreicherer Stimmung als die in der Palästra. Ich wiederholte meine Frage, ob einer von ihnen etwas gesehen habe.
Der junge Bursche stellte sich als Iddibal vor und sagte, sie würden allzu engen Kontakt mit den Tieren vermeiden.
»Wenn man sie kennt, fällt es einem schwer, sie in den vorgetäuschten Jagden zu hetzen.«
»Mir ist aufgefallen, das der Tierpfleger Buxus Leonidas mehr wie einen Freund behandelte, fast wie ein Schoßtier.«
»Der konnte sich das auch leisten. Leonidas kam ja jedes Mal aus der Arena zurück.«
»Aufrechten Ganges zurückgeschickt«, fügte ein anderer hinzu und benutzte damit den Gladiatorenausdruck für einen Aufschub.
»Ja, Leonidas war anders!« Sie grinsten sich an.
»Hab ich was nicht mitgekriegt?«
Nach ein paar verlegenen Augenblicken sagte Id- dibal: »Calliopus hat ihn versehentlich gekauft. Der Löwe wurde ihm als brandneuer Import angepriesen, frisch aus Nordafrika, aber sobald das Geld den
Besitzer gewechselt hatte, flüsterte jemand Calliopus zu, dass Leonidas in besonderer Weise dressiert war. Dadurch war er nutzlos für die Tierhetze. Calliopus war wütend. Er versuchte ihn Saturninus anzudrehen - der ist im gleichen Geschäft tätig -, aber Sa- turninus erfuhr rechtzeitig davon und lehnte ab.«
»Besonders dressiert? Du meinst, als Menschenfresser? Warum war Calliopus wütend? Ist ein dressierter Löwe denn weniger wert?«
»Calliopus muss ihn unterbringen und für sein Futter sorgen, bekommt aber nur das staatliche Standardhonorar, wenn der Löwe gegen Verbrecher eingesetzt wird.«
»Kein sehr hohes Honorar?«
»Sie kennen doch die Regierung.«
»Allerdings!« Sie bezahlte mich. Und versuchte stets das Honorar nach Möglichkeit zu drücken.
»Für die Tierhetzen, die er inszeniert«, erklärte Iddibal, »reicht Calliopus ein Angebot ein, das auf dem basiert, was er zu dem Zeitpunkt anbieten kann. Er steht in Konkurrenz zu den anderen La- nistae, und der Zuschlag hängt davon ab, wer die beste Schau bieten kann. Mit einem ausgewachsenen Löwen als Hauptattraktion hätte er seine Mitbewerber für die Venationes sicher übertroffen.« Ich bemerkte, dass Iddibal sich auf diesem Gebiet gut auszukennen schien. »Das Publikum ist begeistert, wenn wir eine der großen Katzen jagen, und Callio- pus hat nur selten eine. Er hat einen beschissenen Agenten.«
»Der die Tiere für ihn fängt?«
Iddibal nickte, verstummte dann aber, als wäre er zu weit gegangen.
»Hast du viel mit der Beschaffung zu tun?«, fragte ich ihn.
Die anderen stießen ihn spöttisch an. Vielleicht dachten sie, er hätte sich zu sehr als Experte aufgespielt. »Ach, ich bin nur einer der Jungs, der die Bestien mit dem Speer erledigt«, meinte er lächelnd. »Wir hetzen das, was man uns vorsetzt.«
Ich betrachtete die vier. »Ich nehme an, dass keiner von euch in seiner Freizeit Leonidas als Zielscheibe benutzt hat?«
»Aber nein«, sagten sie mit dieser Art von Bestimmtheit, die nie ganz ehrlich klingt.
Ich ging nicht ernstlich davon aus, dass sie Callio- pus' Zorn mit so einer Aktion herausfordern würden. Selbst wenn Leonidas nur das offizielle Honorar einbrachte, war ein lebender Henker immer noch besser als ein toter, zumindest bis der Lanista den ursprünglichen Kaufpreis wieder raus hatte. Außerdem musste es Calliopus ein gewisses Ansehen verschaffen, den Löwen zu besitzen, der die meisten berüchtigten Verbrecher erledigte. Die bevorstehende Bestrafung von Thurius, dem Mörder, hatte viel öffentliches Aufsehen erregt. Und Calliopus schien ehrlich betrübt über den Verlust des Löwen. Deswegen fand ich es auch so beunruhigend, dass er vorgab, Leonidas' Tod sei nichts Besonderes.
Was mir die Gladiatoren vielleicht sonst noch hätten verraten können, wurde durch Calliopus vereitelt, der erschien, um den Männern wahrscheinlich zu befehlen, die Klappe zu halten, wie er es offenbar auch von ihren Kollegen in der Palästra verlangt hatte. Statt es zu diesem Zeitpunkt auf eine Konfrontation ankommen zu lassen, nickte ich ihm zu, ging davon und nahm ganz nebenbei einen der Trai- nigsspeere mit.
Rasch kehrte ich zum Löwenkäfig zurück. Da die Tür immer noch offen stand, trat ich ein. Mit meinem Dolch vergrößerte ich die Wunde im Brustkorb des Löwen und
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