Den Löwen Zum Frass
Mutter.
Das zu beurteilen, solle sie mir überlassen, ent- gegnete ich, und sie schlug mit dem Sieb nach mir.
Mama hatte das Ding (dem ich auswich) nur in der Hand, weil sie Helena Justina für zu vornehm hielt, Kohl zu schnibbeln.
Damit mich niemand falsch versteht - sie akzeptierte Helena. Aber wenn Mama bei uns war, schnib- belte Mama das Grünzeug.
Anacrites, als ihr Untermieter, nahm offenbar an, das hieße, sie würden beide zum Essen bei uns bleiben. Ich ließ ihm den Traum.
Nachdem ich jetzt zu Hause war, in meinen eigenen vier Wänden, wo ich als Haushaltungsvorstand durchging, beendete Mama rasch ihre Arbeit und machte sich zum Gehen bereit. Sie nahm mir das
Baby ab, als wollte sie Julia aus den Fängen eines bösartigen Raubvogels retten, küsste die Kleine zum Abschied und gab sie Helena in Gewahrsam. Wir hatten Mama angeboten, bei uns zu essen, aber sie beschloss wie gewöhnlich, uns aus romantischen Gründen allein zu lassen (wobei diese »Erlaubnis« natürlich jede Romantik im Keim erstickte).
Ich nahm Anacrites beim Ellbogen und half ihm, ohne dass es allzu unhöflich wirkte, auf die Beine. »Danke, dass du meine Mutter nach Hause begleitest, alter Knabe.«
»Ist mir ein Vergnügen«, quetschte er raus. »Hör mal, bist du etwa dieser Löwensache auf eigene Faust nachgegangen?«
»Wär mir nie eingefallen«, log ich.
Sobald ich Mama zum Abschied zugewinkt hatte, schloss ich hinter ihr energisch die Tür. Helena, toleranter als Mama, ließ mir Zeit mit der Erklärung, wo ich gewesen war. Sie gestattete mir, meine Autorität mit ein paar Augenblicken lüsternen Getatsches wiederherzustellen, Julia zu kitzeln, bis sie hysterisch wurde, und mich dann nach einer Kleinigkeit zum Knabbern umzusehen, bevor mir etwas Nahrhafteres serviert wurde.
Anacrites hatte Helena haarklein seine Ansicht über unseren Fortschritt bei der Arbeit für den Zensus dargelegt, dazu eine verzerrte Beschreibung dessen, was ich wegen Leonidas unternommen hatte. Jetzt erzählte ich ihr die Teile, die ich Anacrites verschwiegen hatte. »Das stinkt gewaltig. Klar will der Lanista mich davon abhalten, meine Nase in die Sache zu stecken ...«
Helena lachte. »Er hat eben keine Ahnung, dass er dich damit nur noch neugieriger macht!«
»Du kennst mich.«
»Durch und durch.« Sie zuckte mit den Schultern, nahm mir eine Schale Nüsse weg, vorgeblich, damit ich mir vor dem Abendessen nicht den Bauch voll schlug, und machte sich dann selbst darüber her. Es begeisterte mich immer, dieses Mädchen, das so förmlich wirken konnte, mit gesundem Appetit zulangen zu sehen. Als sie meine Gedanken erriet, blickte sie mich aus großen Augen gelassen an; mit einer sehr präzisen, steiffingrigen Geste glättete sie den Rock über ihren Knien - und knackte die nächste Pistazie.
»Bin ich zu dickköpfig in dieser Sache, Liebling?« Ich griff nach den Nüssen, aber sie drehte sich auf ihrem Hocker und wich mir aus. »Da ist dieser Löwe, der ohne Gebrüll aus seinem Käfig weggeschafft wurde - oder, falls er gebrüllt hat, von niemandem gehört wurde, obwohl sein hingebungsvoller Pfleger und eine Schar Gladiatoren nur ein paar Schritte entfernt waren. Er wurde woanders getötet - warum? - und dann in sein Quartier zurückgebracht und eingeschlossen.«
»Damit es so aussah, als wäre er nie weg gewesen?«
»Scheint so. Macht dich das nicht neugierig?«
»Gewiss, Marcus.«
»Der Pfleger lügt, was man ihm wahrscheinlich befohlen hat.«
»Auch das ist seltsam.«
»Und die Gladiatoren kriegen das Maul nicht auf.«
Helena beobachtete mich, ihre dunklen Augen so nachdenklich über dieses Rätsel wie auch über die Einschätzung, was es für mich bedeutete. »Das beunruhigt dich, Liebling.«
»Ich hasse Geheimnisse.«
»Und?« Sie merkte, dass da noch mehr war.
»Tja, vielleicht überschätze ich die Sache.«
»Du!« Sie neckte mich. »Wieso, Marcus?«
»Ich frag mich, ob es reiner Zufall ist, dass es ausgerechnet passierte, während ich dort eine Ermittlung durchführe.«
»Was könnte dahinter stecken?«, gab mir Helena ruhig das Stichwort.
»Der tote Löwe war dazu bestimmt, Thurius hinzurichten. Da ich derjenige bin, der Thurius festgenommen hat ...« Ich erzählte ihr von meinem wirklichen Verdacht, den ich Anacrites gegenüber nie erwähnen konnte. »Ich überlege, ob jemand es auf mich abgesehen hat.«
Helena hätte lachen oder sich über mich lustig machen können. Ich hätte es ihr nicht vorgeworfen. Stattdessen hörte
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