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Den Oridongo hinauf (German Edition)

Den Oridongo hinauf (German Edition)

Titel: Den Oridongo hinauf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingvar Ambjørnsen
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nur kurz, ein kurzer Blick auf sie, die mich zur Welt gebracht hat, oder genauer gesagt, die mich in die Welt getragen hat, dann senkt sich ein Schleier vor meinen Blick, und als er sich wieder hebt, schaue ich durch das kalte klare Wasser mit den Augen des Dolmen, des großen Fisches, der irgendwo dort in der Tiefe steht, ich stehe dort unten im eiskalten Wasser, mit vibrierenden Flossen und aufgerissenen Augen, und dann fallen alle Gefühle von mir ab, ich ahne die Seele des Fisches, die ohne Gipfel und Abgründe ist, die Seele, die pures Dasein in der Welt ist, ganz ohne irgendwelche Gefühle, und das Weinen legt sich, da stehe ich und sehe, aber mit fremdem Blick, dem Blick der großen Forelle, dem Blick von Meer und Berg, ich verschmelze mit allem um mich herum, und mir kommt ein klares und deutliches Verständnis dafür, dass meine Anwesenheit einen Zweck hat, es hat einen Sinn, den langen Weg hierher gegangen zu sein, so hart der bisweilen auch war, und es hat einen Sinn weiterzugehen, ja, meiner Lebenslinie zu folgen bis zu dem Tag, der Stunde und der Sekunde, in der das Herz seinen letzten Schlag tut, wie eine Uhr in einem verlassenen Haus.
    Wie lange? Ich weiß nicht. Die Zeit hat sich aufgelöst. Es wird dunkel, als ich mich an den langen Abstieg aus den Bergen mache. Es ist steil. Und glatt. Es ist gefährlich, denn mein Mobiltelefon wird erst wieder Netzkontakt haben, wenn ich ein ganzes Stück durch den Wald gegangen bin. Aber ich gehe in tiefer Ruhe weiter. Einen Schritt. Dann noch einen. Ich gehe durch mein eigenes Leben, und ich denke, dass das ebenso gut auf dem Hofplatz zu Hause enden kann, oder während ich mit einem Becher Tee in der Hand durch das Wohnzimmer gehe, wie hier, zwischen verschneiten Zwergbirken, und dass das eine ebenso gut sein kann wie das andere, ich habe sogar gehört und gelesen, dass Erfrieren gar nicht so schlimm ist, man schläft offenbar einfach ein, wenn ich jetzt also stürze…
    Als ich die Baumgrenze ein Stück weit hinter mir habe, piept es in der Anoraktasche. Sie macht sich Sorgen. Ich soll antworten. Antworte endlich. Wo ich bin? Obwohl sie doch weiß, dass es oben in den Bergen keinen Netzkontakt gibt.
    Ich erinnere mich an meine Mutter. Sie hatte solche Angst, wenn ich später nach Hause kam als verabredet oder berechnet. Vielleicht vor allem, weil das fast niemals vorkam. Weil es die Ausnahme war. Die Ausnahme von der verschlossenen Tür meines Kinderzimmers.
    Aber das hier ist etwas anderes. Das hier ist die Angst, die zwischen Frau und Mann entstehen kann.
    Ich rufe sie sofort an.
    »Wo bist du denn jetzt? Warum tust du mir das an?«
    Ist es nicht gemein von mir, mich über diese Worte zu freuen? Dass ich ihr etwas antue, wenn ich nicht bei ihr bin? Wenn ich nicht dort bin, wo sie ist? Vielleicht. Aber diese Worte machen mir trotzdem große Freude. Sie passen zu dem Erlebnis, das ich früher an diesem Tag hatte, aber mit dem Unterschied, dass ich das hier verstehen kann. Ich verstehe, dass ich jemandem fehlen kann. Das ist seit dem Tod meiner Mutter nicht mehr passiert.
    Ich sage, wo ich bin, und dass ich bald kommen werde. Ich sage, dass ich sie liebe.
    Habe ich mich schon einmal so direkt ausgedrückt? Ich bin nicht sicher.

7
    Fleischsuppe. Knäckebrot. Gekochte Fleischstücke, Kohl und Möhren. Sie ist so still, als begreife sie, dass etwas mit mir geschehen ist, dass ich dort oben in den Bergen etwas erlebt habe, als ahne sie, dass ich ihr etwas verberge, wie Mutter damals auch mein Schweigen als Deckmantel vor irgendetwas anderem deutete, aber es ist doch so, dass sie still ist, dass sie fast nichts sagt, und dann ängstige ich mich, denn ich denke, jetzt bereitet sie sich vielleicht darauf vor, mir zu sagen, dass ich weg muss, dass ich aus irgendeinem Grund doch nicht bleiben kann. Ich kann diesen Gedanken nicht umbringen. Dass sie mich eines Tages bitten wird zu gehen. Dieser Gedanke taucht auf, wieder und wieder, ja, sogar wenn sie ab und zu nachts die Hand nach mir ausstreckt, denke ich, dass das hier zu gut ist, um wahr zu sein, das hier kann nicht so bleiben.
    Dann sagt sie, wie durch ein Wunder: »Du brauchst keine Angst zu haben. Hast du etwas gefangen?«
    »Nein. Sehe ich aus, als ob ich Angst habe?«
    »Aber ich möchte, dass du in Lillys Zimmer ziehst. Du bist nachts so unruhig. Ich komme zu dir. Ab und zu.«
    Ich nicke. Das ist eine Abmachung. Und keine schlechte Abmachung. Ich will ein breites Bett bauen. Es anstreichen. Dem alten

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