Den Tod im Blick- Numbers 1
nicht mehr dauern. Karen hat mich sicher als vermisst gemeldet, außerdem haben sie doch die Überwachungsbilder …«
»Wir müssen was finden, wo wir uns verstecken können. Irgendwas, wo wir campen können, draußen im Wald. Überall, wo Leute sind, ist es für uns zu heiß.«
Ich verlor den Mut. Verdammt, was wussten wir beide denn vom Campen im Freien? Zwei Jugendliche aus London! »Spinne, warst du schon mal irgendwann campen?«
»Nee, aber so schwierig kann’s ja nicht sein. Das Einzige, was wir brauchen, ist genug zu essen und zu trinken, paar Decken und irgend ’ne Stelle, wo uns niemand findet. Wird schon – wir schlagen uns in den Untergrund.«
Ich lachte. »Ich geh nicht in den Untergrund.«
»Nee, du Holzkopf, ich mein, wir leben von dem, was wir finden. Irgendwelche Sachen sammeln, Beeren essen.«
»Wenn wir zwei was sammeln und essen, liegen wir spätestens morgen Abend im Krankenhaus. Entweder wir vergiften uns oder wir frieren uns zu Tode.« Ich schaute düster aus dem Fenster und starrte auf die fremdartige Flickenlandschaft aus Wiesen und Hecken. Sie wirkte ungefähr so einladend wie die Oberfläche des Mars: keine Läden, keine Häuser, keine Menschen, kein Leben. Stimmt schon, London war Schrott, aber immerhin gab es dort irgendeine Art von Zivilisation, nicht wie hier in dieser endlosen, vermatschten, trist grünen Einöde. »Wieso bleiben wir nicht einfach im Wagen und stellen ihn irgendwo ab, wo uns keiner findet?«
»Ja, vielleicht hast du Recht. Pass auf, ich denk, wir fahren jetzt noch ’ne halbe Stunde oder so rum und dann parken wir irgendwo, bis es dunkel wird.«
Wir fuhren weiter, an langweiligen Hügelketten mit vereinzelten Bauernhäusern vorbei. Ab und zu gab es mal eine Häuseransammlung und ein Laden tauchte auf – die Ansammlungen hatten Namen, aber von Orten konnte keine Rede sein. Sie waren gar nichts. Einige Häuser hatten Stroh auf dem Dach, als ob noch Mittelalter wär oder so. Es erinnerte mich an die Drei kleinen Schweinchen, so eine Geschichte, die mir Ma vorgelesen hatte. Das dumme kleine Schwein baut sich eine Hütte aus Stroh und der große böse Wolf pustet es weg. Aber der Wolf wird am Ende trotzdem in einen großen Topf gesteckt und gekocht, klar doch, und die drei kleinen Schweinchen hocken sicher in ihrem Steinhaus. Ich weiß nicht, wieso man Kindern all diese Lügen erzählt. Dauert doch nicht lange, bis sie kapieren, dass im wahren Leben immer der Wolf als Sieger davonkommt, kleine Schweine wie ich und Spinne haben da gar keine Chance.
»Woran denkst du?«
Ich schrak auf. Nicht dass ich geschlafen hatte, ich war bloß so in Gedanken, dass ich für eine Weile ganz weggetreten war.
»An Schweine.«
»Haste welche gesehn?« Er drehte sich schnell um und der Wagen schwang nach rechts.
»Nein. Guck auf die Straße! Du bringst uns noch um. Außerdem mein ich nicht die Art von Schweinen – nicht richtige. Märchenbuch-Schweine, ach vergiss es …«
Ein Schild mit einem Picknicktisch tauchte auf. Wir fuhren ab und entdeckten, geschützt vor der Straße, einen großen Parkplatz. Ein Lastwagen stand dort, wir hielten dahinter und verdrückten ein paar Kekse und einen Schluck Cola. Ein Typ erschien von der Seite und lief hinten um den Laster herum. Er blieb stehen und zündete sich eine Zigarette an, dann überprüfte er, ob die Befestigungen an seinem Wagen richtig saßen. Ich sah, dass er dabei die ganze Zeit zu uns rüberschaute. Er tat zwar so, als ob er es nicht machte, aber du kennst das bestimmt auch, dass jemand irgendwas anstarrt und aus dem Augenwinkel nach etwas anderem schielt. Instinktiv rutschte ich tiefer in meinen Sitz und beobachtete, wie er zum Führerhaus ging und sich hochstemmte.
»Siehst du den?«
Spinne pulte ein Stück Keks aus den Zähnen. »Wen, den Fahrer?«
»Ja.«
»Ich seh ihn im Rückspiegel. Wieso?«
»Was macht er?«
»Hat sich gerade ’ne Kippe angezündet und quatscht in sein Funkdings.«
Mir kribbelte wieder der ganze Körper. »Er hat uns gesehen, Spinne. Der ruft die Polizei.«
»Nee, spinn doch nicht rum. Lastwagenfahrer quatschen die ganze Zeit miteinander.«
»Und wenn doch? Was machen wir dann?«
»Wir müssen den Wagen verschwinden lassen und uns ’n andern besorgen. Lass uns auf jeden Fall hier abhauen.« Er startete den Motor und schaltete locker durch die Gänge, als er beschleunigte und auf die Hauptstraße bog – so langsam gewöhnte er sich ans Fahren.
Ich schaute zurück. Ein Stück
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