Den Tod im Blick- Numbers 1
inzwischen verdammt nah dran sein.« Trotz der Dunkelheit wusste ich, dass er wieder lächelte. Ich wollte genauso fühlen, ich wollte es ehrlich, aber es ging nicht. Ich fühlte mich innerlich kalt, elend, ich hatte Angst.
»Und was machen wir in Weston, Spinne? Fernsehen und Zeitungen gibt es da auch, verstehst du, und Polizei und Spürhunde und –«
Er legte einen seiner langen Finger auf meine Lippen. »Ich hab’s dir doch gesagt. Wir werden Eis essen und Fish & Chips und auf dem Pier entlanglaufen.« Er sagte es, als glaubte er wirklich dran.
Ich nahm behutsam seine Hand, die mich zum Schweigen gebracht hatte, legte sie auf meine flache linke Handfläche und fuhr ihm mit der andern sanft über die knochigen Finger.
»Was machst du?«
»Nichts. Du hast schöne Hände.«
»Du bist so sanft, echt, das bist du.« Er beugte sich vor und küsste mich zärtlich. »Okay«, sagte er dann plötzlich, als ob er sich entschieden hätte. »Ich weiß, du bist müde, also warte hier und halt dich bereit, bis ich zurückkomm, um dich zu holen. Ich find ’n Auto für uns, mach dir keine Sorgen. Dauert nicht lang.« Und dann kroch er unter den Ästen raus.
»Spinne?«
»Was ist?«
»Sei vorsichtig.«
»Klar. Halt dich bereit, okay? Ich bin in ein paar Minuten zurück.« Und weg war er, die Äste schwangen noch einen Moment hin und her, wo er sich den Weg gebahnt hatte. Ich sah zu, wie ihre Bewegungen verebbten und dann aufhörten. Und ich saß in der Dunkelheit, die mich umgab, und wartete.
KAPITEL 23
Ich saß da und lauschte, jede Faser meines Körpers bereit, aufzuspringen und loszurennen. Ich wartete auf seine Schritte, ein Rascheln der Zweige, eine geflüsterte Anweisung. Jedes Geräusch im Hintergrund war bedeutungsschwanger und lastete schwer – das Rauschen des Verkehrs, der eigenartige Ruf von weit her, Polizeisirenen. Verdammt noch mal, was war los? Wo blieb Spinne?
Aus zwei Minuten wurden zehn. Aus zehn Minuten zwanzig. Mit der Zeit erstarrte ich immer mehr in meiner Position – zusammengekauert, die Knie umklammert. Ich zwang mich, langsam zu atmen, fast wie in Trance, und versuchte alles andere wegzuschieben, bis Spinne zu mir zurückkäme.
Wie lange dauerte es, bis ich begriff, dass er nicht zurückkommen würde? Ich weiß es nicht, aber allmählich sickerte es zu mir durch, so wie der gefrierende Regen, der angefangen hatte von den Zweigen über mir und dem Boden unter meinen Füßen in mich einzudringen. Irgendwas war Spinne zugestoßen. Weil ich es nicht mitbekommen hatte, empfand ich keinen Schock, nicht zu diesem Zeitpunkt; es war, als ob sich etwas noch Dunkleres als die Nacht, die mich umgab, auf mich herabsenkte, in mich hinein, und ein Frösteln fuhr mir bis in die Knochen. Ich regte mich nicht, machte auch kein Geräusch, sondern saß nur da, eingerollt zu einer Kugel, leicht hin und her schaukelnd, vor und zurück.
Ich musste eingeschlafen sein, denn irgendwann wachte ich am Boden liegend auf und hatte bloß einen Gedanken im Kopf: Er ist tot. Mir war kalt und feucht, zusammengerollt in dem Dreck. Ich hielt mir beide Hände vors Gesicht, bedeckte Nase und Mund. Der eigene Atem wärmte mein Gesicht, während ich vor mich hin flüsterte: »O mein Gott, o mein Gott.« Ich wusste nicht, was ich tun sollte – selbst zum Weinen hatte ich zu viel Angst.
Meine geflüsterten Worte lagen mir noch in den Ohren, doch plötzlich wurden mir andere Stimmen bewusst, die zu mir durchdrangen, und noch ein zweites Geräusch, ein Rascheln und Schnippen. Jemand fuhr mit irgendwas durch die Büsche.
»Nachdem wir den einen haben, kann der andere ja nicht weit sein.«
»Passiert nicht oft, dass du einen Terroristen schnappst, was?«
»Meinst du, er ist wirklich einer? Ein Terrorist? Ein Junge wie er?«
»Könnte schon sein, die sind ja heute ganz jung, weißt du?«
»Der machte aber keinen besonders hellen Eindruck auf mich, als sie ihn aufs Revier gebracht haben.«
»Helle müssen sie auch nicht sein, oder? Ist sogar besser, wenn nicht. Wenn du ihnen den Kopf mit Stoff zudröhnst, glauben die alles, die schwarzen Kids. Du hast ja keine Ahnung, was mit denen los ist.«
Das war’s dann also. Er war irgendwo auf dem Polizeirevier eingesperrt. Ich spürte, wie etwas in meiner Kehle hochstieg. Ich musste schlucken. Die Stimmen kamen näher. Taschenlampen leuchteten hin und her.
»Wir durchsuchen noch den Park und danach gehen wir rüber zu dem zugewucherten Gelände an der
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